2. Korinther 12 – Die Kraft der Gnade in der Schwachheit

A. Paulus´ Vision und deren Vermächtnis in seinem Leben

1. Paulus beschreibt widerstrebend seine Vision

2. Korinther 12, 1-6

2. Korinther 12, 1-6
Das Rühmen nützt mir freilich nichts; doch will ich auf die Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn zu sprechen kommen. Ich weiß von einem Menschen in Christus, der vor 14 Jahren (ob im Leib oder ob außerhalb des Leibes, ich weiß es nicht; Gott weiß es) bis in den dritten Himmel entrückt wurde. Und ich weiß von dem betreffenden Menschen (ob im Leib oder außerhalb des Leibes, weiß ich nicht; Gott weiß es), dass er in das Paradies entrückt wurde und unaussprechliche Worte hörte, die ein Mensch nicht sagen darf. Wegen eines solchen will ich mich rühmen, meiner selbst wegen aber will ich mich nicht rühmen, als nur meiner Schwachheiten. Zwar wäre ich, wenn ich mich rühmen wollte, deshalb nicht töricht, denn ich würde die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber dessen, damit niemand mehr von mir hält, als was er an mir sieht oder von mir hört.

  1. Doch will ich auf die Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn zu sprechen kommen: Die ‚besonderen Apostel‘ unter den Christen in Korinth beanspruchten für sich zweifellos viele spektakuläre spirituelle Erfahrungen, wie z.B. Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn. Paulus hat sich bereits im letzten Kapitel ‚widerwillig selbst gelobt‘, so dass er sich jetzt noch mit seinen eigenen Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn rühmen kann.
    1. Paulus‘ Zögern kommt in den einleitenden Worten dieses Kapitels zum Ausdruck: Das Rühmen nützt mir freilich nichts. Paulus ist es leid, über sich selbst zu schreiben! Stattdessen würde er viel lieber über Jesus schreiben. Aber das weltliche Denken, das die Christen in Korinth dazu brachte, wenig von Paulus zu halten, verleitete sie auch dazu, wenig von Jesus zu halten, auch wenn sie dies selbst nicht erkennen konnten.
  2. Erscheinungen und Offenbarungen: Ob es sich dabei nun um Engel, Jesus, den Himmel oder um andere Dinge handelt – all diese spirituellen Erfahrungen kommen im Neuen Testament sehr viel häufiger vor, als wir vielleicht denken.
      1. Sacharja, der Vater von Johannes dem Täufer, hatte eine Vision von einem Engel (Lukas 1, 8-23).
      2. Die Verklärung Jesu wird als eine Vision für die Jünger beschrieben (Matthäus 17, 9).
      3. Die Frauen, die das Grab Jesu besuchten, hatten eine Vision von Engeln (Lukas 24, 22-24).
      4. Stephanus sah eine Vision von Jesus bei seinem Tod (Apostelgeschichte 7, 55-56).
      5. Ananias erlebte eine Vision, die ihm sagte, er solle zu Saulus gehen (Apostelgeschichte 9, 10).
      6. Petrus hatte eine Vision von den reinen und unreinen Tieren (Apostelgeschichte 10, 17-19 und 11, 5).
      7. Petrus hatte bei seiner Entlassung aus dem Gefängnis eine Vision von einem Engel (Apostelgeschichte 12, 9).
      8. Johannes hatte viele Visionen auf Patmos (Offenbarung 1, 1).
      9. Paulus hatte auf dem Weg nach Damaskus eine Offenbarung von Jesus (Apostelgeschichte 22, 6-11 und 26, 12-20).
      10. Paulus hatte eine Vision von einem Mann aus Mazedonien, der ihn bat, in diese Region zu kommen, um dort zu helfen (Apostelgeschichte 16, 9-10).
      11. Paulus hatte eine Vision der Ermutigung für ihn selbst, als er in Korinth war (Apostelgeschichte 18, 9-11).
      12. Paulus hatte eine Vision von einem Engel auf dem Schiff, das gerade dabei war, zu sinken (Apostelgeschichte 27, 23-25).
    1. Wir sollten also nicht überrascht sein, wenn Gott durch verschiedene Formen von Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn zu uns spricht. Allerdings sind solche Erfahrungen stets subjektiv und anfällig für Missverständnisse und wie sie letztendlich interpretiert werden. Darüber hinaus sind Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn, welche Bedeutungen sie auch immer in sich tragen, fast immer auf jene Person beschränkt, die die Erscheinungen und Offenbarungen empfangen hat. Daher sollten wir stets sehr vorsichtig sein, wenn jemand von einer Vision oder Offenbarung berichtet, die er über uns hat.
    2. „Wie oft wollten mir Menschen schon von ihren Visionen erzählen! Ich bin immer misstrauisch. Ich will wissen, was sie am Abend zuvor zu Abend gegessen haben! Wenn Menschen ernstzunehmende Visionen haben, schweigen sie darüber.“ (Morgan)
  3. Ich weiß von einem Menschen in Christus: Paulus beschreibt diese Erfahrung in der dritten Person statt in der ersten Person (er sagt also nicht: „Ich selbst hatte diese Erfahrung“)). Da fragt man sich natürlich, ob er hier tatsächlich von sich selbst spricht oder ob er jemand anderen meint. Aber weil er dann später in Vers sieben in die erste Person übergeht, können wir sicher sein, dass er wirklich über sich selbst schreibt.
    1. Warum benutzt er dann überhaupt die dritte Person? Weil Paulus mit der Beschreibung dieser bemerkenswerten spirituellen Erfahrung genau das beschreibt, worauf die ‚besonderen Apostel‘ unter den korinthischen Christen so stolz waren. Als er seine demütigenden Erfahrungen in 2. Korinther 11, 23-30 beschrieb, zögerte er andererseits nicht, in der ersten Person zu schreiben. Niemand käme daher auf die Idee, dass er sich selbst so verherrlichen würde, wie es die ‚besonderen Apostel‘ taten. Das heißt in der dritten Person will er sich ganz einfach in aller Bescheidenheit ausdrücken: Paulus möchte unbedingt diese Erfahrung mitteilen, ohne sich dabei selbst zu verherrlichen.
  4. Vor 14 Jahren: Diese Datierung durch Paulus lässt keine Rückschlüsse auf das exakte Jahr seiner Erscheinungen zu, denn die Gelehrten sind sich nicht einig darüber, wann der 2. Korintherbrief genau geschrieben wurde.
    1. Manche vermuten, dass Paulus seine von ihm beschriebenen Erfahrungen entweder während seiner zehn Jahre in Syrien und Cilicien (Galater 1, 21-2, 1), bei seiner Steinigung in Lystria (Apostelgeschichte 14, 19) oder während seiner Zeit in Antiochien (Apostelgeschichte 13, 1-3) hatte.
    2. Bemerkenswert ist vor allem, dass Paulus 14 Jahre lang darüber geschwiegen hat, und nach all diesen Jahren erwähnt er seine gemachte Erfahrung auch nur widerwillig.
  5. Ob im Leib oder ob außerhalb des Leibes, ich weiß es nicht; Gott weiß es: Paulus weiß nicht wirklich, ob er während dieser Vision im Leib oder außerhalb des Leibes war. Es scheint, dass seiner Ansicht nach beides möglich war.
    1. Viele fragen sich vielleicht, was denn nun wirklich mit Paulus geschehen ist. Wurde er im Leib in den Himmel hinaufgetragen, oder war es eine außerkörperliche Erfahrung? Der ganze Sinn des Textes besteht darin, dass wir es einfach nicht wissen können, weil nicht einmal Paulus selbst es wusste. Tatsächlich macht Paulus diesen Umstand sehr klar, indem er zweimal davon schreibt (in Vers zwei und in Vers drei). Daher sind irgendwelche Spekulationen in diesem Zusammenhang sinnlos. „Da er sich nicht mal selbst festlegen konnte, wäre es lächerlich, wenn wir dies selbst versuchten.“ (Clarke)
  6. Bis in den dritten Himmel entrückt: Der [dritte] Himmel deutet nicht auf verschiedene ‚Ebenen‘ des Himmels hin (obwohl dies manche der damaligen, jüdischen Rabbiner glaubten). Vielmehr verwendet Paulus eine damals übliche Terminologie, die den ‚blauen Himmel‘ als den ersten Himmel, den ‚Sternenhimmel‘ als den zweiten Himmel und den Ort, an dem Gott lebte und regierte, als den dritten Himmel bezeichnete.
    1. „In den heiligen Schriften werden nur drei Himmel erwähnt. Der erste ist die Atmosphäre... Der zweite, der Sternenhimmel … Und, drittens, der Ort der Seligen oder der Thron der göttlichen Herrlichkeit.“ (Clarke)
    2. Ein Mensch – d.h. mutmaßlich Paulus selbst – wurde also in den [ … ] Himmel entrückt, wo Gott lebt. Paulus hatte eine Vision bzw. eine Erfahrung mit dem Thron Gottes, genauso wie Jesaja (Jesaja 6, 1) und Johannes (Offenbarung 4, 1-2).
  7. Dass er in das Paradies entrückt wurde: Paulus bezeichnet diesen dritten Himmel als Paradies. Das Wort Paradies ist dem persischen Begriff für einen abgeschlossenen, luxuriösen Garten entnommen, der in der Antike oft nur bei Adligen zu finden war.
    1. Manche der frühen Christen dachten fälschlicherweise, das Paradies sei der Ort, an den die Seelen der Gläubigen nach dem Tod kamen, um auf ihre Auferstehung zu warten. Manche von ihnen (wie z.B. der antike Theologe Origenes) glaubten sogar, das Paradies befinde sich irgendwo auf der Erdoberfläche.
  8. Und unaussprechliche Worte hörte, die ein Mensch nicht sagen darf: Bei der Beschreibung dieser himmlischen Vision erzählt Paulus nichts von dem, was er gesehen hat, sondern er beschreibt nur schattenhaft, was er hörte.
    1. Paulus´ Art der Beschreibung unterscheidet sich ganz wesentlich von vielen anderen, die heutzutage ihre sogenannten ‚Visionen‘ vom Himmel beschreiben: Es gibt nichts Selbstherrliches, Selbstverherrlichendes oder Törichtes in Paulus´ Beschreibung seiner Erfahrung.
      1. Paul wartete 14 Jahre, um sich über den Vorfall überhaupt zu äußern, und als er es schließlich tat, sagte er es nur widerwillig.
      2. Bei der Schilderung seiner Vision tat er alles dafür, um den Fokus von sich selbst abzulenken (wie z.B. das Schreiben in der dritten Person).
      3. Ihn störte es überhaupt nicht, nur in ganz kurzen Zügen darüber zu schreiben, was er tatsächlich erlebt hat. So erwähnt er nichts von dem, was er gesehen hat, und sagt nur, dass er Dinge gehört hat, unaussprechliche Worte [ … ], die ein Mensch nicht sagen darf.
    2. Was hat Paulus also gehört? Das wissen wir nicht! Es waren unaussprechliche Worte [ … ], die ein Mensch nicht sagen darf. Gott wollte nicht, dass wir es wissen, also gab er Paulus nicht die Erlaubnis, darüber zu sprechen.
    3. Dennoch können einige Kommentatoren der Versuchung nicht widerstehen, darüber zu spekulieren: „Vermutlich bezieht sich der Apostel auf eine göttliche Mitteilung, was das tiefere Wesen Gottes betrifft und wie Gott die Dinge mit der Welt regelt – eine Erfahrung, wovon Paulus später nur ganz allgemeinen Gebrauch in seinen Predigten und Schriften machte. In jedem Fall ist aber klar, dass Paulus´ damalige Erfahrung die Grundlage all seiner Lehren bildete“. (Clarke)
  9. Wegen eines solchen will ich mich rühmen; meiner selbst wegen aber will ich mich nicht rühmen, als nur meiner Schwachheiten: Paulus sagt im Wesentlichen, dass dieser ‚namenlose‘ Mann, der die Vision hatte, tatsächlich etwas hatte, womit er sich rühmen konnte. Aber ‚Paulus selbst‘ konnte sich wirklich nur in seinen Schwachheiten rühmen, was er tatsächlich auch in 2. Korinther 11, 23-30 tat.
    1. Zwar wäre ich, wenn ich mich rühmen wollte, deshalb nicht töricht: Auch hier setzt sich Paulus sehr deutlich – und humorvoll – von den ‚besonderen Aposteln‘ unter den Christen in Korinth ab. Diese würden nicht zögern, sich mit der Art von Vision zu rühmen, die Paulus hatte. Vermutlich würden sie über eine solche Vision ganze Bücher schreiben, Tonbänder und Videos aufzeichnen und auf Vortragsreisen gehen! Und wenn sie das täten, wäre jeder von ihnen doch nur töricht. Paulus ist dagegen nicht töricht, also wird er sich mit dieser Vision nicht brüsten.
    2. Andererseits können wir es fast spüren, wie wichtig es für Paulus war, den Christen in Korinth mitzuteilen, dass er wirklich solche Erfahrungen gemacht hat. Oft mag man vorschnell denken, dass die Einzigen, die tiefe Erfahrungen mit Gott haben, diejenigen sind, die sich ständig damit rühmen. Paulus hat sich dagegen nie damit gebrüstet so wie die ‚besonderen Apostel‘, obwohl er sicherlich sehr tiefgreifende Erfahrungen mit Gott hatte. Der Beweis für seine tiefen Erfahrungen findet sich in seinem verwandelten Leben und seinem sehr wirkungsvollen, wahrhaftigen Dienst.
    3. Deshalb hielt es Paulus für so wichtig, diese Erfahrung zu erwähnen, aber in keiner Weise darauf näher einzugehen. Er versuchte nicht, sich an die Christen in Korinth zu ‚verkaufen‘. Tatsächlich hält er sich mit seiner Beschreibung sehr zurück (ich enthalte mich aber dessen), weil er die korinthischen Christen nicht davon überzeugen wollte, dass er nur ein weiterer ‚besonderer Apostel‘ sei (damit niemand mehr von mir hält, als was er an mir sieht oder von mir hört). Sofern also die korinthischen Christen dachten, Paulus sei schwach und anders als die ‚besonderen Apostel‘, dann war das für ihn vollkommen in Ordnung. Er wollte, dass die korinthischen Christen die Herrlichkeit Gottes in der Schwachheit erkennen und ihn eben nicht als ‚großartig‘ sehen, wie die ‚besonderen Apostel‘ es von sich selbst behaupteten.
  10. Warum wurde Paulus dann diese Vision gegeben? Zum ersten für uns alle, damit wir von dem profitieren, was der Herr Paulus gezeigt hat. Zum zweiten für Paulus selbst: Das, was Gott ihm durch diese Vision sagte, unterstützte ihn dabei, alle Prüfungen und Herausforderungen während seines Dienstes zu bestehen. Paulus wurde befähigt, all das in die Tat umzusetzen, was Gott von ihm wollte, damit alle Menschen davon erfahren können. Am Ende half die Vision also Paulus ganz entscheidend dabei, seinen göttlichen Auftrag erfolgreich zu Ende zu bringen.

2. Paulus‘ Pfahl für sein Fleisch

2. Korinther 12, 7

2. Korinther 12, 7
Und damit ich mich wegen der außerordentlichen Offenbarungen nicht überhebe, wurde mir ein Pfahl fürs Fleisch gegeben, ein Engel Satans, dass er mich mit Fäusten schlage, damit ich mich nicht überhebe.

  1. Und damit ich mich wegen der außerordentlichen Offenbarungen nicht überhebe: Paulus‘ Vision war so beeindruckend, dass es für ihn ein Leichtes gewesen wäre, sich wegen der außerordentlichen Offenbarungen über andere und alle Maße hinaus zu erheben. Er hätte sich selbst verherrlichen oder andere durch diese Erfahrung dazu bringen können, ihn zu verherrlichen.
    1. Paulus war nicht immun gegen die Gefahr des Stolzes. Niemand ist es. „Selbst die Größten im Volk Gottes tragen in sich eine Wurzel des Stolzes oder neigen dazu, über alle Maße hinaus erhöht zu werden, wenn sie von Gott in einer Weise begünstigt werden, die für andere als etwas ganz Besonderes erscheinen mag.“ (Poole)
  2. Wurde mir ein Pfahl fürs Fleisch gegeben: Um zu verhindern, dass er sich wegen seiner Offenbarungen überhebe, wurde Paulus dieser Pfahl gegeben. Darin enthüllt Paulus den wahren Grund, warum er von seiner himmlischen Vision berichtet: nicht um sich selbst zu verherrlichen, sondern um seinen Pfahl fürs Fleisch zu erklären.
    1. Es scheint, dass jeder den Pfahl fürs Fleisch sehen konnte, an dem Paulus litt – es war kein Geheimnis. Seine himmlische Vision war bis jetzt ein Geheimnis, aber jeder sah den Pfahl. Manche unter den Christen in Korinth hielten wegen dem Pfahl fürs Fleisch vermutlich weniger von Paulus, aber sie wussten nichts von der erstaunlichen spirituellen Erfahrung, die sich dahinter verbarg.
    2. „Er sagt: ‚Er wurde mir gegeben.‘ D.h. er betrachtete seine große Prüfung als ein Geschenk. Das ist sehr positiv ausgedrückt. Er sagt nicht: ‚Mir wurde ein Pfahl fürs Fleisch zugefügt‘, sondern ‚Mir wurde ein Pfahl fürs Fleisch gegeben‘.“ (Spurgeon)
  3. Ein Pfahl fürs Fleisch: Was ist ein Pfahl fürs Fleisch? In anderen Bibelübersetzungen wird lediglich von einem Dorn gesprochen – also die Beschreibung für eine vergleichsweise sehr viel kleinere Irritation. Aber das ursprüngliche Wort, das Paulus hier verwendet, meint tatsächlich einen Zeltpfahl, also etwas mit viel größerer Wirkung und Bedeutung.
    1. In der altgriechischen Übersetzung des Alten Testaments, die als Septuaginta bekannt ist, zeigt das Wort skolops (Pfahl) „etwas, das das Leben der Betroffenen frustriert und große Schwierigkeiten verursacht“. (Kruse)
  4. Mir wurde ein Pfahl fürs Fleisch gegeben, ein Engel Satans, dass er mich mit Fäusten schlage: Auf seltsame Weise wurde Paulus der Pfahl gegeben – letztlich von Gott gegeben –, aber der Pfahl war auch ein Engel Satans.
    1. Satan machte sich wahrscheinlich auf Gottes Erlaubnis daran, Paulus zu bedrängen, und er tat dies mit aller Bosheit. Aber Gott hatte in allem eine gute Absicht und erlaubte Satans Gesandtem, Paulus erfolgreich davon abzuhalten, damit ich [also Paulus] mich nicht überhebe.
    2. Mich mit Fäusten schlagen bedeutet, dass dieser Pfahl fürs Fleisch – also ein Engel Satans – Paulus ‚geschlagen‘ hat. Paulus hatte den Eindruck, dass er von diesem Engel Satans grün und blau geschlagen wurde.
    3. Paulus, vom Teufel verprügelt? Wer hätte das gedacht? „Vielleicht hast du bei dem Gedanken an einen Christen ein Gesicht vor Augen, das immerzu lächelt, sich nie Sorgen macht, stets fröhlich ist und über beide Ohren strahlt; und während du über deine eigene Situation nachdenkst, hast du dir vielleicht in deinem Herzen gesagt: ‚Ich wünschte, ich wäre so wie dieser! Er scheint einfach keine Probleme zu haben. Er muss nichts von dem durchmachen, was ich alles so erlebe.‘ Aber vielleicht bist du so wie ich reif genug, um nur allzu gut zu wissen, dass sich selbst hinter dem strahlenden Gesicht manchmal ein sehr großer Druck verbirgt – und oft wird die Person, die von Gott am meisten gesegnet ist, auch am meisten vom Teufel geschlagen.“ (Redpath)
  5. Es ist interessant, einmal darüber nachzudenken, was wohl ein Berater ohne biblische Perspektive zu Paulus gesagt hätte. Stell dir vor, dass Paulus dem Berater von seiner großen Gebrechlichkeit erzählt, von seinem beschwerlichen ‚Pfahl fürs Fleisch‘, und wie Paulus sich dabei schwach und absolut machtlos fühlt, etwas dagegen zu tun. Gut vorstellbar, dass der Berater dann sagen würde: „Also hör mal Paulus, was du wirklich brauchst, ist einfach eine positive mentale Einstellung, um dieses Problem erfolgreich anzugehen.“ Oder er könnte sagen: „Paulus, die ganze Kraft steckt in dir selbst, um diese Schwäche zu überwinden; schau doch einfach mal tief in dich selbst hinein, um die Lösung zum Erfolg zu finden.“ Vielleicht würde der Berater Paulus auch empfehlen: „Was du wirklich brauchst, ist eine Selbsthilfegruppe von fürsorglichen Menschen.“ Mag auch sein, dass Paulus den Rat erhält, Medikamente gegen Depressionen zu nehmen. Oder der Berater könnte sogar versuchen, Paulus herauszufordern, indem er sagt: „Also Paulus, wenn du tatsächlich einen starken Glauben hättest, würdest du von diesem Pfahl im Fleisch befreit werden“. Manche dieser Ratschläge mögen unter allen möglichen Umständen gewiss sehr hilfreich sein; aber Paulus trägt sein Problem dem wunderbarsten aller Ratgeber vor und dieser hat etwas ganz anderes zu sagen.

3. Das Gebet des Paulus bezüglich des Pfahles im Fleisch

2. Korinther 12, 8

2. Korinther 12, 8
Seinetwegen habe ich dreimal den Herrn gebeten, dass er von mir ablassen soll.

  1. Seinetwegen habe ich dreimal den Herrn gebeten: Paulus tat genau das, was er auch anderen in Zeiten der Not empfahl. Paulus glaubte selbst, was er in Philipper 4, 6 schrieb: Sorgt euch um nichts; sondern in allem lasst durch Gebet und Flehen mit Danksagung eure Anliegen vor Gott kundwerden.
  2. Habe ich dreimal den Herrn gebeten: Tatsächlich betete Paulus wiederholt für diesen Pfahl fürs Fleisch. Gut möglich, dass Paulus anfangs, als er den Pfahl fürs Fleisch zum ersten Mal wahrgenommen hat, dachte: „Das ist doch kein Problem. Ich werde das Ganze einfach dem Herrn im Gebet übergeben“. Aber als er dann betete, geschah nichts. Also dachte er: „Das ist anscheinend ein ganz schön schwieriger Brocken“, und betete erneut. Als nach dem dritten Gebet immer noch nichts geschah, wusste er: Gott wollte ihm etwas sagen.
    1. Einige denken, dass Paulus eine hebräische Redewendung verwendet, die in Wirklichkeit viel mehr als dreimal bedeutet. „Das bedeutet nicht dreimal. Es ist die hebräische Redewendung für unaufhörlich, kontinuierlich, immer und immer wieder.“ (Morgan)
    2. Manche sagen, das zeugt nicht gerade von einer besonders geistlichen Einstellung und von wenig Glauben, für etwas mehr als einmal zu beten. Das wäre überraschend für Paulus, der dreimal den Herrn gebeten hatte, so wie Jesus, der im Garten Gethsemane vor seiner bevorstehenden Kreuzigung und damit verbundenen Todesqual dreimal mit den gleichen Worten betete (Markus 14, 39-41).
    3. Aber gegen Paulus´ Gebet war nicht das Geringste einzuwenden. „Gott berücksichtigt nicht die Anzahl unserer Gebete, wie viele es nun sind, ebenso wenig wie sprachgewandt wir unsere Gebete ausdrücken, oder wie ordentlich sie sind; und ebenso wenig die Geometrie unserer Gebete, also wie lange sie sind; und auch nicht die ‚Melodie‘ und den Wohlklang in unseren Gebeten, und auch nicht die Logik unserer Gebete, wie methodisch sie sind. Einzig und allein geht es um die Göttlichkeit unserer Gebete, wie sehr sie von Herzen kommen. Nicht Gaben, sondern Gnade überwiegt im Gebet“. (Trapp)
  3. Den Herrn gebeten: Paulus´ Gebet für sein Anliegen war sehr leidenschaftlich. Wir könnten uns daher fragen, ob er vielleicht nicht doch überrascht war, als das Gebet beim ersten oder zweiten Mal nicht erhört wurde.
  4. Dass er von mir ablassen soll: Paulus‘ erstes Gebet war, dem Leid zu entfliehen, das dieser Pfahl fürs Fleisch ihm brachte. Paulus war kein Masochist. Wenn er litt, war sein erster Instinkt, Gott zu bitten, ihm das Leiden zu nehmen.
    1. Als sein leidenschaftliches und wiederholtes Flehen nicht beantwortet wurde, muss es Paulus nahe gegangen sein. Das machte seine Prüfung nochmal um mehrere Dimensionen schwerer:
      1. In puncto physische Dimension, da es sich um einen Pfahl fürs Fleisch handelte.
      2. Seine Prüfung beinhaltete ebenso eine geistige Dimension, da der Pfahl ja von Satans Engel kam.
      3. Es hatte insofern auch eine spirituelle Dimension, da seine fortlaufende Prüfung ja die Konsequenz seiner unbeantworteten Gebete war.
  5. Seinetwegen: Was genau nun war Paulus´ Pfahl fürs Fleisch? Wir haben einfach nicht genügend Informationen, um darauf eine verlässliche Antwort zu geben. Doch das hat viele Kommentatoren und Lehrer nicht davon abgehalten, ihre Meinung zu äußern.
    1. Einige sehen im Pfahl vor allem eine geistige Schikane. Andere meinen, es handele sich um Verfolgung. Viele vermuten, dass es sich um ein körperliches oder mentales Leiden handelte. Einige sagen, dass es Paulus‘ Kampf mit lüsternen und sündigen Gedanken war.
    2. Unter den Christen stammt die früheste, noch erhaltene Mutmaßung über Paulus´ Leiden von Tertullian. Tertullian dachte, bei dem Pfahl handelte es sich um einen Ohren- oder Kopfschmerz.
    3. In neuerer Zeit schlug der Historiker Sir William Ramsay vor, dass das Leiden des Paulus eine bestimmte Art von Malaria war, die in dem Gebiet, in dem er als Missionar diente, häufig vorkam. Menschen, die an dieser Art von Malaria leiden, erleiden Anfälle, wenn sie unter Stress stehen, und sie „empfinden eine Verachtung und Abscheu vor sich selbst und glauben, dass andere ebenso Verachtung und Abscheu empfinden“. Dieses Malariafieber verursacht auch schwere Kopfschmerzen, die von den Betroffenen als „wie ein glühender Balken, der durch die Stirn gestoßen wird“ beschrieben werden.
    4. Jeder dieser Vorschläge ist möglich. Aber Gott hatte eine bestimmte Absicht, die genaue Natur von Paulus´ Pfahl nicht zu enthüllen. Was wäre, wenn wir genau wüssten, was Paulus‘ Pfahl war? So könnten z. B. alle, die jemals von einem Schmerz betroffen waren bzw. sind – und welcher nicht identisch ist mit dem Pfahl von Paulus – daran zweifeln, dass Paulus´ Erfahrung für sie überhaupt relevant ist. Gott wollte, dass alle, die irgendeine Art von Pfahl in ihrem Fleisch hatten, sich in Paulus´ Lage versetzen konnten. „Im Allgemeinen stelle ich fest, dass jeder Kommentator diesen bestimmten Pfahl ausgewählt hat, der auch seine eigene Brust durchbohrt hat.“ (Spurgeon)

4. Gottes Bestimmung für Paulus durch seinen Pfahl für sein Fleisch

2. Korinther 12, 9-10

2. Korinther 12, 9-10
Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft wird in der Schwachheit vollkommen! Darum will ich mich am liebsten vielmehr meiner Schwachheiten rühmen, damit die Kraft des Christus bei mir wohne.
Darum habe ich Wohlgefallen an Schwachheiten, an Misshandlungen, an Nöten, an Verfolgungen, an Ängsten um des Christus willen; denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.

  1. Und er hat zu mir gesagt: Gott hatte eine Antwort für Paulus. Die Reaktion war nicht das, was Paulus anfangs erhofft oder erwartet hatte, aber Gott hatte dennoch eine Antwort für Paulus. Wir verschließen oft unsere Ohren vor Gott, wenn er in einer Weise antwortet, die wir nicht erhofft oder erwartet hatten.
  2. Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft wird in der Schwachheit vollkommen: Anstatt den Pfahl aus Paulus´ Leben zu entfernen, gab Gott Paulus seine Gnade und gewährte sie ihm auch weiterhin in seinem Leben. Die Gnade, die Gott Paulus gab, war genügen[d], um alle seine Bedürfnisse zu befriedigen.
    1. Paulus war gewiss verzweifelt in seinem Verlangen, von dieser Last befreit zu werden. Dazu gibt es grundsätzlich zwei verschiedene Möglichkeiten: entweder durch das Entfernen der Last oder durch Stärkung der Schultern, die die Last tragen. Anstatt den Pfahl wegzunehmen, entschied sich Gott bei Paulus für die andere Möglichkeit, und Gott zeigt seine Stärke durch die offensichtliche Schwachheit des Paulus.
    2. Um dies zu tun, musste Paulus glauben, dass Gottes Gnade genüg[t]. Wir glauben nicht wirklich daran, dass Gottes Gnade ausreicht, solange wir nicht auch glauben, dass wir im Grunde unzureichend sind. Für viele von uns, und ganz besonders in der amerikanischen Kultur, ist dies ein großes Problem: All jene Menschen, die das Bild des ‚Selfmademan‘ vergöttern und sich ausschließlich auf sich selbst verlassen wollen, können Gottes Stärke einfach nicht empfangen, solange sie ihre Schwäche nicht (an-)erkennen. Wir können die Fülle der Gnade Gottes nicht empfangen, bevor wir unsere eigene Unzulänglichkeit (er-)kennen.
    3. „Große Trübsal erst bringt die große Kraft Gottes zum Vorschein. Wenn du nie innere Konflikte durchmachst und dir das Herz noch nie so richtig schwer wurde, weißt du nicht wirklich viel von der tragenden Kraft Gottes. Wenn du aber in die Untiefen der Seele hinabtauchst, bis zu dem Punkt, wo die unheimliche Finsternis dich bedroht und beginnt, dich komplett zu verschlingen, gerade dann reitet der Herr auf einem Cherub und fliegt, ja reitet er auf den Flügeln des Windes und befreit deine Seele und bringt dich in den dritten Himmel der Wonne – dann erst nimmst du die Majestät der göttlichen Gnade wahr. Oh ja, es muss die Schwäche des Menschen geben, die gefühlt, erkannt und beklagt wird, sonst wird die Stärke des Sohnes Gottes niemals in uns vollendet werden.“ (Spurgeon)
  3. Meine Gnade genügt: Wie hat sich Gottes Gnade ausgewirkt? Wie hat sie Paulus´ Bedürfnis an diesem Punkt gestillt?
    1. Gnade konnte Paulus‘ Bedürfnis erfüllen, weil sie Gottes Annahme und Freude an uns zum Ausdruck bringt. Wenn wir seine Gnade empfangen, genießen wir in Gottes Augen unseren Status der Gunst und Anerkennung. Gnade bedeutet, dass Gott uns liebt, dass er uns wohlwollend gegenübersteht und dass wir seine Zustimmung und sein Versprechen der Fürsorge haben.
    2. Gnade konnte Paulus‘ Bedürfnis erfüllen, weil die Gnade ständig verfügbar war. Wenn wir sündigen oder versagen, bringt uns das nicht außerhalb der Reichweite von Gottes Gnade. Da uns die Gnade in Jesus frei gegeben wird, kann sie später nicht weggenommen werden, auch wenn wir stolpern oder fallen. Wenn wir durch den Glauben an das Blut Jesu zu Gott kommen, ist seine Gnade immer bereit, uns zu begegnen und unsere Unzulänglichkeiten zu beheben.
    3. Gnade konnte Paulus‘ Bedürfnis erfüllen, weil es die eigentliche Kraft Gottes war. So viel Machtvolles in dieser Welt kommt insbesondere in solchen Dingen zum Ausdruck, die nur Schaden und Zerstörung anrichten; Gott hingegen liebt es, seine Macht durch seine Güte und Gnade zu zeigen. Manchmal verbinden wir Güte mit Feigheit oder Zaghaftigkeit. Wenn wir das tun, nehmen wir eine weltliche Perspektive in Bezug auf Macht und Stärke ein, und wir leugnen Gottes Wahrheit über die Stärke von Gnade und Liebe. Gnade ist nicht schwach oder schwächlich. Stattdessen ist sie die Kraft Gottes, genau das zu erfüllen, was uns fehlt.
  4. Meine[] Gnade genüg[t dir]: Du kannst wirklich jeden einzelnen Aspekt dieses Satzes hervorheben, den du dir wünschst.
    1. „Meine Gnade genügt dir.“ Gnade ist die Gunst und Liebe Gottes in Aktion. Sie bedeutet, dass er uns liebt und sich über uns so sehr freut. Kannst du Gott auf diese Weise sprechen hören? „Meine Liebe soll dir genügen.“ Ist das nicht wahr?
    2. Meine[] Gnade genügt dir.“ Wessen Gnade ist es? Es ist die Gnade Jesu. Ist seine Liebe, seine Gunst nicht genug? Woran wird Jesus scheitern? Denke auch daran, dass Jesus eine Dornenkrone erlitten hat – er sorgt sich um uns, er weiß alles.
    3. „Meine Gnade genügt dir [auch in diesem Augenblick].“ Sie genügt jetzt gerade. Nicht, dass es irgendwann eines fernen Tages so sein wird, sondern jetzt, in diesem Augenblick, ist seine Gnade ausreichend. Du dachtest vielleicht, es müsse sich erst etwas ändern, bevor Seine Gnade ausreichen würde. Oder du dachtest: „Seine Gnade war einmal ausreichend, seine Gnade mag wieder ausreichend sein, aber nicht jetzt, nicht bei dem, was ich durchmache.“ Trotz dieses Gefühls steht Gottes zu seinem Wort. „Meine Gnade genügt dir.“ Spurgeon schrieb: „Es ist leicht, an die Gnade für die Vergangenheit und die Zukunft zu glauben, aber ebenso für das Hier und Jetzt? – das ist wahrer Glaube. So höre, du Gläubiger, jetzt ist die Gnade ausreichend: Sogar in diesem Augenblick ist sie ausreichend für dich“.
    4. „Meine Gnade genüg[t] dir.“ Redpath erklärt diesen Aspekt am besten: „Siehst du das Humorvolle an der Situation? Die Gnade Gottes: Ich. Seine Gnade genügt selbst für mich kleines Würstchen! Wie absurd zu glauben, dass es jemals anders sein könnte! Als ob wir als kleiner Fisch im Ozean schwimmen und Angst davor haben könnten, dass er ihn jemals leer trinken könnte! Die Gnade unseres gekreuzigten, auferstandenen, erhabenen, triumphierenden Erlösers und Herrn aller Herrlichkeit genügt mir ganz gewiss! Meinst du nicht auch, dass sich der Herr mit dem Wort ‚genügt‘ doch sehr bescheiden ausdrückt?“
    5. „Meine Gnade genügt [dir].“ Ich bin so froh, dass Gott nicht gesagt hat: „Meine Gnade genügt für den Apostel Paulus“. Ich hätte mich vielleicht übergangen gefühlt. Aber Gott hat es all umfassend gemeint. Denn das dir steht ja stellvertretend genauso für dich und mich. Gottes Gnade reicht für dich aus! Hast du dich damit abgefunden? Oder bist du vielleicht anders? Ist dein Pfahl schlimmer als der des Paulus oder schlimmer als viele andere, die den Triumph Jesu erlebt haben? Natürlich nicht. Diese ausreichende Gnade ist für dich.
    6. „Dieses ‚Sich Genügen‘ wird ohne irgendwelche Einschränkungen erklärt, und deshalb verstehe ich die Stelle so, dass die Gnade unseres Herrn Jesus Christus ausreicht, um dich zu stützen, dich zu stärken, dich zu trösten, all deine Sorgen und Nöte dir zunutze zu machen, dir zu ermöglichen, über sie zu triumphieren, dass sie dich aus all dem rausholt, aus Zehntausenden, denen es genauso geht, eine Gnade, die dich am Ende auch nach Hause in den Himmel bringt … O Kind Gottes, ich wünschte, es wäre möglich, dieses Sich-Allzeit-Genügen in Worte zu fassen, aber das ist es nicht. Lass es mich mal so formulieren: Ich bin froh, dass man es nicht in Worte fassen kann, denn wenn es so wäre, wäre es endlich, aber da wir es nie ausdrücken können, Ehre sei Gott, ist es unerschöpflich, und unsere Ansprüche daran können nie zu groß sein. Hier möchte ich dir die erfreuliche Pflicht aufbürden, in diesem Augenblick die Verheißung persönlich mit nach Hause zu nehmen, denn kein Gläubiger hier braucht sich jemals zu fürchten, denn für ihn genügt selbst in jedem einzelnen Augenblick die Gnade des Herrn Jesus Christus.“ (Spurgeon)
    7. „John Bunyan`s Ausführung enthält folgende Passage, die genau das ausdrückt, was ich selbst erlebt habe. Er sagt, dass er voller Trauer und Entsetzen war, aber plötzlich brachen diese Worte mit so großer Kraft über ihn herein, und dreimal erklangen die gleichen Worte in seinen Ohren: ‚Meine Gnade genügt dir; meine Gnade genügt dir; meine Gnade genügt dir‘. Und ‚Ach! dachte ich‘, sagt er, ‚dass jedes Wort ein mächtiges Wort für mich war: ‚meine‘ und ‚Gnade‘ und ‚genügt‘ und ‚dir‘; sie waren damals – und sind es manchmal immer noch – so viel wirkmächtiger als alle anderen Worte.‘ Wer wie die Biene weiß, wie man den Honig aus den Blumen saugt, mag wohl über jedem dieser Worte verweilen und seinen unaussprechlichen Inhalt in sich aufsaugen.“ (Spurgeon)
  5. Darum will ich mich am liebsten vielmehr meiner Schwachheiten rühmen, damit die Kraft des Christus bei mir wohne: Durch seine Schwachheiten machte Gott Paulus völlig abhängig von seiner Gnade und von seiner Kraft, aber es geschah alles zum Guten. Paulus‘ fortwährende – ja sogar erzwungene – Abhängigkeit von Gott machte ihn stärker, als er jemals gewesen wäre, wenn seine Offenbarungen ihn stolz und unabhängig gemacht hätten.
    1. Viele von uns denken, dass echte christliche Reife darin besteht, dass wir in einen Zustand gelangen, in dem wir in gewisser Weise ‚unabhängig‘ von Gott sind. Die Idee dahinter ist, dass wir unser Handeln derart im Griff haben, dass wir uns nicht so sehr jeden Tag, von Augenblick zu Augenblick auf Gott verlassen müssen. Das ist überhaupt keine christliche Reife. Gott hat absichtlich lähmende Umstände in Paulus‘ Leben geschaffen, so dass er in ständiger, totaler Abhängigkeit von Gottes Gnade und Gottes Kraft sein würde.
    2. Viele Menschen sehen Gott als einen Elternteil, dem wir früher oder später entwachsen. Wenn wir reif sind und bestimmte Hindernisse im Leben überwunden haben, können wir Gott genauso abschütteln, so wie wir die Autorität unserer Eltern abgeschüttelt haben. Nach diesem Muster behandeln einige von uns Gott genauso, wie wir unsere Eltern behandeln. Wir zollen ihm ein gewisses Maß an Respekt, wir geben ihm, was ihm gebührt – aber wir haben nicht mehr das Gefühl, ihm wirklich gehorchen zu müssen. In unseren Herzen sind wir aus dem Haus ausgezogen. Wir denken, wir können unsere eigenen Regeln im Leben aufstellen, solange wir einmal pro Woche in Gottes Haus zu Abend essen und ihm ein wenig Anerkennung zollen.
    3. Viele hegen die Sehnsucht nach dem Tag, an dem das christliche Leben ‚leicht‘ werden wird. Wir hoffen auf eine Zeit, in der die großen Kämpfe mit der Sünde hinter uns liegen, und dass wir dann ohne großen Kampf zu größeren und besseren Dingen übergehen. Dieser Tag ist eine Illusion. Wenn der Apostel Paulus selbst ständig Schwäche erfahren hat, was maßen wir uns dann an, zu glauben, dass wir ihn übertreffen werden?
    4. Tatsächlich lässt die Illusion von Stärke und Unabhängigkeit eine Person in Wirklichkeit schwächer zurück. „Nichts behindert das Werk Gottes mehr als der abgehobene, stolze Christ“. (Morgan)
    5. „Vor allem die Diener des Evangeliums sollten alle Gedanken an ihre eigene Klugheit, intellektuellen Fähigkeiten und Bildung verbannen – also ein Tun, das sich ausschließlich auf sich selbst verlässt. Stattdessen sollten sie lernen, dass sie nur dann gefüllt werden können, wenn sie geleert sind; und nur dann, wenn sie wirklich wissen, dass sie im Grunde genommen selbst nichts sind, sind sie bereit, dass Gott durch sie wirkt.“ (Maclaren)
    6. „Gott wirkt durch den Menschen, der komplett rein gewaschen und von innen nach außen gekehrt worden ist, dessen Leben vor dem Herrn entleert ist, bis er hoffnungslos schwach ist, damit kein Fleisch in seiner Gegenwart Ruhm erlangt.“ (Redpath)
  6. Darum will ich mich am liebsten vielmehr meiner Schwachheiten rühmen: Letztlich findet sich Paulus nicht mit seinem Schicksal ab, sondern er begrüßt es. Er freut sich, dass Gott ihn gezwungen hat, sich auf die Gnade und Stärke Gottes zu verlassen. Umso mehr kann er sagen: „Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“.
    1. Paulus war auf einem solchen Niveau geistlicher Stärke und Reife, dass Gott ihm absichtlich einen Pfahl für sein Fleisch zufügen musste. Die meisten von uns sind selbst schuld an ihrem eigenen Pfahl und ein ehrlicher Blick zeigt uns genug Schwäche, damit wir uns ständig und völlig auf die Gnade und Stärke Jesu verlassen können. Doch selbst wenn wir zu der geistlichen Stärke und Reife eines Paulus heranwachsen würden, würde Gott auch zu uns sagen: „Ich muss dafür sorgen, dass ihr euch in allem auf mich verlasst. Hier ist etwas, wofür ihr euch auf mich verlassen könnt.“ Es geht hier um Sieg, nicht um Entmutigung.
    2. „In der christlichen Perspektive ist kein Platz für eine ziellose, widerstandslose Einstellung ohne jeglichen Mut“. (Hughes)
  7. Habe ich Wohlgefallen an Schwachheiten: Das Wohlgefallen des Paulus an Schwachheiten ist nicht das kranke Grübeln eines Asketen, der glaubt, dass wir durch unsere Leiden vor Gott gerecht gemacht sind. Paulus suchte seinen Pfahl fürs Fleisch nicht; der Pfahl kam zu ihm.
    1. „Die später in der Kirche so verhängnisvolle Vorstellung, ein Martyrium förmlich herbeizusehnen, Askese zu üben und sogar Schmutz, Krankheit und Elend anzunehmen, um sich damit die Gunst vor Gott zu ‚erkaufen‘, widerspricht dem Geist des Apostels und dem ganzen Tenor des Evangeliums im Neuen Testament komplett; denn es geht hier um eine Lebensweise, die man sich um ihrer selbst willen aussucht, um sich vor Gott rechtschaffen und annehmbar zu machen – also eine Vorstellung von Gerechtigkeit durch Werke und nicht durch Glauben.“ (Hughes)
  8. Denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark: Welch ein Triumph! Was kann die Welt einem solchen Mann noch anhaben, den Jesus so fest im Griff hat? Gott hat diesem Pfahl fürs Fleisch nicht erlaubt, Paulus zu strafen oder ihn um der Schwachheit willen schwach zu halten. Gott zeigte dadurch in Paulus eine göttliche Stärke
    1. Stell dir einmal diesen Paulus vor. War er ein schwacher oder ein starker Mann? Ein Mann, der die ganze Antike bereiste und das Evangelium Jesu trotz schlimmster Verfolgungen verbreitete, der Schiffbrüche erlitt und Gefangenschaft ertrug, der zu Königen und Sklaven predigte, der starke Kirchen gründete und ihre Führer ausbildete – das war kein schwacher Mann! In Anbetracht seines Lebens und seiner Errungenschaften würden wir sagen, dass Paulus ein sehr starker Mann war. Aber er war nur stark, weil er seine Schwächen kannte und außerhalb seiner selbst nach der Stärke der Gnade Gottes suchte. Wenn wir ein Leben in dieser Stärke führen wollen, müssen wir auch unsere Schwäche verstehen und zugeben und allein auf Gott schauen, um die Gnade zu erlangen, die uns für jede Aufgabe stärken wird. Es war der gnadenerfüllte Paulus, der sagte: „Ich vermag alles durch den, der mich stark macht, Christus“. (Philipper 4, 13)
    2. „Die Täler werden mit Regen bewässert, um sie fruchtbar zu machen, während die Gipfel der hoch erhabenen Berge trocken bleiben. Ein Mensch muss ein Tal werden, wenn er den himmlischen Regen von Gottes geistlicher Gnade empfangen will.“ (Calvin)
    3. „Aus all dem schließe ich, dass ausgerechnet die schlimmste Prüfung, die ein Mensch je durchmacht, das Wertvollste sein kann, was er in dieser Welt jemals besitzt; dass der Engel Satans für ihn in gleicher Weise gut sein kann wie sein Schutzengel; dass es für ihn in gleichem Maße hilfreich sein kann, von Satan geschlagen zu werden, als wenn ihn der Herrn selbst streichelt; dass es für unser Seelenheil ganz entscheidend sein kann, dass wir uns nicht nur auf ertragreiche Gewässer wagen, die gut fürs Geschäfts sind, sondern auch auf Gewässer, die Morast und Schmutz aufwerfen. Die schlimmste Form der Prüfung mag trotz allem gegenwärtig das Beste für uns sein.“ (Spurgeon)
  9. Zusammenfassend kann man sagen, dass Paulus seine Erfahrung nicht dazu verwendet, sich selbst zu verherrlichen (so wie es die ‚besonderen Apostel‘ unter den Christen in Korinth taten). Im Gegenteil: Paulus erzählt stattdessen, wie ihn diese glorreiche Erfahrung mehr denn je demütigte.
    1. Alles, was Paulus´ Feinde sehen konnten, war der Pfahl; sie konnten nicht sehen, in welcher Form und warum er da war. Aber Paulus wusste es, und so freute er sich sogar über den Pfahl fürs Fleisch.
    2. Das allerbeste Beispiel für das Prinzip, das uns Paulus hier verdeutlicht, wurde natürlich durch Jesus selbst vorgelebt. „Könnte jemand auf Erden sanftmütiger als der Sohn Gottes sein, der ans Kreuz genagelt wurde, anstelle von uns selbst, damit er uns von unseren Sünden erlöse? Da dieser Moment absoluter Schwäche von der mächtigen Kraft Gottes erfüllt wurde, als er ihn von den Toten auferweckte, frage ich mich, ob der Pfahl im Leben des Paulus eine Erinnerung an die Kraft des Kreuzes war.“ (Redpath)
    3. Dennoch sollten wir niemals denken, dass in unserem Leben die bloße Gegenwart eines Pfahls bedeutet, dass die Herrlichkeit und Kraft Jesu in uns und durch uns scheinen würde. Du kannst der Gnade Gottes widerstehen und dich weigern, dich auf Jesus zu konzentrieren, und dann feststellen, dass dein Pfahl dich verflucht, anstatt dich zu segnen. „Ohne die heiligende Kraft des Heiligen Geistes ist ein Pfahl eher dem Bösen förderlich als dem Guten. Bei vielen Menschen scheint ihr Pfahl fürs Fleisch überhaupt keinen herrlichen Plan erfüllt zu haben; vielmehr hat er ein anderes Laster geschaffen, anstatt eine Versuchung zu beseitigen.“ (Spurgeon)

5. Schlussfolgerung zu Paulus‘ ‚törichter Prahlerei‘

2. Korinther 12, 11-13

2. Korinther 12, 11-13
Ich bin töricht geworden mit meinem Rühmen; ihr habt mich dazu gezwungen. Denn ich sollte von euch empfohlen werden, da ich den »bedeutenden Aposteln« in nichts nachstehe, wenn ich auch nichts bin. Die Zeichen eines Apostels sind unter euch gewirkt worden in aller Geduld, in Zeichen und Wundern und Kraftwirkungen. Denn worin seid ihr benachteiligt worden gegenüber den restlichen Gemeinden, außer dass ich selbst euch nicht zur Last gefallen bin? Vergebt mir dieses Unrecht!

  1. Ich bin töricht geworden mit meinem Rühmen: Seit er diesen Abschnitt in 2. Korinther 10, 1 begann, war Paulus gezwungen, vor den Christen in Korinth mehr sich selbst zu rühmen, als er eigentlich wollte. Paulus entschuldigt sich fast dafür, dass er so viel über sich selbst geschrieben hat, denn er würde doch viel lieber über Jesus schreiben.
  2. Denn ich sollte von euch empfohlen werden, da ich den »bedeutenden Aposteln« in nichts nachstehe, wenn ich auch nichts bin.: Wenn Paulus sein ‚Rühmen‘ für töricht hielt, warum erwähnte er es dann überhaupt? Nicht um seiner selbst willen, sondern um der Christen in Korinth willen. Sie unterließen es, Paulus und sein Ansehen als Apostel vor den bedeutenden Aposteln, die ihn kritisierten und seine lAutorität untergruben, zu verteidigen.
    1. Es war nicht so sehr, dass Paulus die Anwesenheit der bedeutenden Apostel beunruhigte. Es war ihr Einfluss unter den Christen in Korinth, was ihn, den wahren Apostel störte.
  3. Die Zeichen eines Apostels sind unter euch gewirkt worden in aller Geduld, in Zeichen und Wundern und Kraftwirkungen: Paulus konnte auch auf die Zeichen und Wunder[] und Kraftwirkungen hinweisen, die unter den Christen in Korinth vollbracht wurden. Jedes davon war ein Beweis für die apostolische Stellung des Paulus.
  4. Denn worin seid ihr benachteiligt worden gegenüber den restlichen Gemeinden: Wenn Paulus in irgendeiner Weise benachteiligt ist, dann nur darin, dass er sich geweigert hat, Geld von den Christen in Korinth zu nehmen. Deshalb bittet er sie sarkastisch um Vergebung: Vergebt mir dieses Unrecht!
    1. „Feine Ironie, wovon dieser Brief ja voll ist.“ (Trapp)
    2. „Es ist das Vorrecht der Gemeinden Christi, den Dienst am Evangelium zu unterstützen. Diejenigen, die nicht ihren Teil zur Unterstützung des Dienstes am Evangelium beitragen, kümmern sich entweder nicht darum oder ziehen keinen Nutzen daraus.“ (Clarke)

B. Paulus kündigt seine dritte Reise nach Korinth an

1. Paulus versucht nicht, die Korinther zu täuschen

2. Korinther 12, 14-18

2. Korinther 12, 14-18
Siehe, zum dritten Mal bin ich nun bereit, zu euch zu kommen, und ich werde euch nicht zur Last fallen; denn ich suche nicht das Eure, sondern euch. Es sollen ja nicht die Kinder den Eltern Schätze sammeln, sondern die Eltern den Kindern.
Ich aber will sehr gerne Opfer bringen und geopfert werden für eure Seelen, sollte ich auch, je mehr ich euch liebe, desto weniger geliebt werden. Doch sei es so, dass ich euch nicht belästigt habe; weil ich aber schlau bin, habe ich euch mit List gefangen. Habe ich euch etwa übervorteilt durch irgendjemand von denen, die ich zu euch sandte? Ich habe den Titus gebeten und mit ihm den Bruder gesandt; hat etwa Titus euch übervorteilt? Sind wir nicht in demselben Geist gewandelt? Nicht in denselben Fußstapfen?

  1. Zum dritten Mal bin ich nun bereit, zu euch zu kommen: Bei seinem ersten Besuch in Korinth gründete Paulus die Gemeinde und blieb ein Jahr und sechs Monate (Apostelgeschichte 18, 11). Sein zweiter Besuch war ein kurzer, schmerzhafter Besuch zwischen dem Schreiben des 1. und des 2. Korintherbriefs. Jetzt ist er bereit, ein dritte[s] Mal zu kommen.
  2. Und ich werde euch nicht zur Last fallen: Paulus lässt die Christen in Korinth wissen, dass er zwar eine Geldsammlung für die Gläubigen in Judäa erhalten wird, wenn er kommt (2. Korinther 8), aber er wird von ihnen kein Geld für seinen persönlichen Unterhalt annehmen. Er wird es weiterhin so wie bisher mit den Christen in Korinth handhaben und für sich selbst sorgen und er wird den Christen in Korinth nicht zur Last fallen.
    1. Ein Leiter kann für eine Gemeinde eine Last sein, wenn er Unterstützung erhält, die nicht angemessen ist oder wenn er zu viel Unterstützung erhält. „Wer für die Sache Gottes arbeitet, sollte von der Sache Gottes unterstützt werden. Aber wehe dem Menschen, der sich selbst im Ansehen erhebt und durch den Gewinn der Gläubigen reich wird! Und wehe besonders dem, der aus dem Groschen der Armen ein Vermögen gemacht hat! Im Herzen eines solchen Menschen thront in Wahrheit die Liebe zum Geld. Was hingegen seinen nach außen hin demonstrierten Glauben betrifft, so ist dieser in Wirklichkeit nichts; er ist ein getünchtes Grab, ein Pharisäer und ein Gräuel vor dem Herrn.“ (Clarke)
  3. Denn ich suche nicht das Eure, sondern euch: Dies ist das wahre Zeugnis eines jeden gottesfürchtigen Leiters. Sie dienen nicht wegen dem, was sie vom Volk Gottes bekommen können, sondern für das, was sie dem Volk Gottes geben können. Sie sind Hirten, keine Heuchler.
    1. Dies ist das wahre Herzensanliegen von Jesus uns gegenüber. Wir denken oft, dass Gott im Grunde genommen von uns etwas will, was wir haben; aber in Wirklichkeit will er uns selbst. Jesus sucht selbstlos unser Wohl, und Sein Herz ist für uns und nicht darauf ausgerichtet, was er von uns ‚bekommen‘ kann.
    2. „Paulus ist nur ein schwacher Schatten des Herrn Jesus; und diese seine Eigenschaften lassen sich in seinem Leben auch nur deshalb erkennen, weil sie sich in so reiner Form im Leben Jesu Christi, unseres Herrn, finden.“ (Redpath)
  4. Es sollen ja nicht die Kinder den Eltern Schätze sammeln, sondern die Eltern den Kindern: Dies erklärt zum Teil den Grund, warum Paulus keine Unterstützung von den Christen in Korinth erhalten wollte. Da er ihr geistlicher ‚Vater‘ und sie seine geistlichen ‚Kinder‘ waren, machte es Sinn, dass sie sich nicht ‚belastet‘ fühlen sollten, ihn zu unterstützen.
    1. Zugleich ist dies kein Kompliment an die Christen in Korinth. Da Paulus Unterstützung von anderen Gemeinden erhielt und sehr dankbar annahm (Philipper 4, 10-19), wissen wir, dass dies nicht seine grundsätzliche Einstellung gegenüber allen Gemeinden war. Stattdessen ist es so, als ob Paulus sagen würde: „Ihr Christen in Korinth seid noch nicht reif genug, um mich zu unterstützen. Ihr seid immer noch geistliche Kinder. Wenn ihr erwachsen werdet, könnt ihr mir bei der Arbeit als Partner zur Seite stehen und mich unterstützen. Aber bis dahin bin ich gerne bereit, selbst für mich zu sorgen.“
  5. Ich aber will sehr gerne Opfer bringen und geopfert werden für eure Seelen: Paulus nahm den Christen in Korinth ihre mangelnde Unterstützung nicht übel. Sicherlich hätte er ihre Unterstützung geschätzt, dies jedoch eher weil ein solches Handeln viel über sie selbst ausgesagt hätte, und nicht, weil es ihm so viel gebracht hätte. Paulus selbst hat gerne gegeben; er würde sehr gerne Opfer bringen und geopfert werden für [ih]re Seelen.
    1. Paulus hatte dieses großzügige Herz, auch wenn die Christen in Korinth nicht dankbar waren. Recht unverblümt drückt Paulus seine schmerzliche Erfahrung aus: je mehr ich euch liebe, desto weniger [werde ich] geliebt. In diesen Worten liegt Schmerz! Doch Paulus ließ nicht zu, dass dieser Schmerz ihn lähmte oder ihm sogar die Freude am Dienen und am Leben raubte. Er möchte immer noch sehr gerne für die Christen in Korinth Opfer bringen und geopfert werden.
    2. Wir können etwas hergeben und dies auf vielerlei Weise tun; aber bedauern wir es vielleicht, wenn wir geben oder dienen? Wir können dies leicht an unserer eigenen Reaktion überprüfen, wenn unser Dienst einmal nicht gewürdigt wird. Nehmen wir das anderen vielleicht übel? Paulus‘ Dienst wurde von den Christen in Korinth nicht gewürdigt, und doch hat er es ihnen nicht übelgenommen. Stattdessen möchte er sehr gerne für sie Opfer bringen und geopfert werden.
  6. Weil ich aber schlau bin, habe ich euch mit List gefangen! Hier ist Paul wieder sarkastisch. Einige der Christen in Korinth beschuldigten Paulus, hinterlistig zu sein. Ihr Vorwurf war wahrscheinlich: „Vermutlich wird Paulus kein Unterstützungsgeld von dir nehmen, aber er wird dich austricksen, indem er die Geldsammlung nimmt, die für die Christen in Jerusalem bestimmt ist und sie dann in seine eigene Tasche steckt.“ Daraufhin erwidert Paulus sarkastisch: „Und ob ich schlau bin! Ich habe euch mit List gefangen und euch meisterhaft ausgetrickst!“
    1. Paulus´ Gegner, die bedeutenden Apostel, die in 2. Korinther 11, 5 und 12, 11 erwähnt werden, waren zumindest teilweise wegen des Geldes im Dienst. Sie konnten die Tatsache nicht ertragen, dass Paulus sich im Dienst nicht ums Geld scherte, also projizierten sie ihre eigenen Motive auf ihn.
    2. Einige dachten, Paulus habe hier allen Ernstes zugegeben, dass er hinterlistig war und in seinem Dienst an den korinthischen Christen [Arg]List anwandte. „Viele Personen nehmen an, dass die Worte, dass ich euch mit List gefangen habe, die Worte des Apostels sind und nicht die seiner Verleumder; und deshalb sind sie zu dem Schluss gekommen, dass es rechtmäßig ist, List, Betrug [und so weiter] anzuwenden, um einem guten und religiösen Zweck zu dienen. Eine solche Lehre ist widerwärtig; und es ist ganz offensichtlich, dass jene Worte den Verleumdern des Apostels entstammen, gegen die er sein Verhalten in den beiden folgenden Versen verteidigt.“ (Clarke)
  7. Habe ich euch etwa übervorteilt: Paulus beweist, dass die Anschuldigung, er habe mit List gehandelt, falsch ist. Er erinnert die Christen in Korinth daran, dass weder Paulus noch einer seiner Mitarbeiter sich den Korinthern gegenüber jemals in finanziellen Dingen unangemessen verhalten haben.

2. Paulus ermutigt die Korinther, Buße zu tun, bevor er kommt

2. Korinther 12, 19-21

2. Korinther 12, 19-21
Meint ihr wiederum, wir verteidigen uns vor euch? Vor dem Angesicht Gottes, in Christus, reden wir, und das alles, Geliebte, zu eurer Erbauung. Denn ich fürchte, wenn ich komme, könnte ich euch nicht so finden, wie ich wünsche, und ihr könntet auch mich so finden, wie ihr nicht wünscht; es könnte Streit unter euch sein, Eifersucht, Zorn, Selbstsucht, Verleumdung, Verbreitung von Gerüchten, Aufgeblasenheit, Unruhen, sodass mein Gott mich nochmals demütigt bei euch, wenn ich komme, und ich trauern muss über viele, die zuvor schon gesündigt und nicht Buße getan haben wegen der Unreinheit und Unzucht und Ausschweifung, die sie begangen haben.

  1. Meint ihr wiederum, wir verteidigen uns vor euch? Vor dem Angesicht Gottes, in Christus, reden wir: Paulus ist besorgt, dass seine Verteidigung vor den Christen in Korinth fälschlich als eine Entschuldigung verstanden werden könnte. Aber Paulus entschuldigt sich nicht; er hat nichts zu entschuldigen. Stattdessen sagt er mutig: „Vor dem Angesicht Gottes, in Christus, reden wir“. Paulus verkündete die Wahrheit vor Gott und entschuldigte sich nicht bei den Christen in Korinth.
  2. [Wir tun] das alles, Geliebte, zu eurer Erbauung: Alles, was Paulus für die Christen in Korinth tat, tat er, um sie im Herrn zu erbauen. Jeder Brief, den er schrieb, jeder Besuch, den er machte, jedes Gebet, das er betete, hatte ein Ziel: die Christen in Korinth im Geiste Jesus Christus zu erbauen. Sein Herz war für sie, nicht für ihn selbst.
    1. Wenn Paulus´ Gegner – die bedeutenden Apostel, die in 2. Korinther 11, 5 und 12, 11 erwähnt werden – wirklich ehrlich wären, dann würden sie sagen: „Wir tun alle Dinge, Geliebte, zu unserer eigenen Erbauung.“ Aber Paulus war komplett anders eingestellt.
    2. „Es ist nicht seine Absicht, die Korinther bloßzustellen, sondern sie zur Besinnung zu bringen, ihnen zu helfen, sich von der narkotisierenden Wirkung zu befreien, die die falschen Apostel, die in ihre Gemeinde eingedrungen waren, auf sie ausgeübt hatten.“ (Hughes)
  3. Denn ich fürchte, wenn ich komme, könnte ich euch nicht so finden, wie ich wünsche: Paulus ist besorgt, dass er bei seinem dritten Besuch unter den Christen in Korinth die gleichen, alten Probleme vorfinden wird und dass sie immer noch keine Reue zeigen werden.
    1. Um sicherzugehen, dass sie genau wissen, was er tatsächlich meint, benutzt Paulus ganz klare Worte: es könnte Streit unter euch sein, Eifersucht, Zorn, Selbstsucht, Verleumdung, Verbreitung von Gerüchten, Aufgeblasenheit, Unruhen. All dies war die Frucht des weltlichen Denkens, auf das sich die Christen in Korinth eingelassen haben; und dies muss sich ändern, bevor Paulus zu seinem dritten Besuch nach Korinth kommt.
  4. Ihr könntet auch mich so finden, wie ihr nicht wünscht: In Erwartung seines nächsten Besuchs warnt Paulus die Christen in Korinth. Wenn sie sich bis dahin nicht so verhalten, wie es Paulus (und damit dem Herrn) gefällt, dann werden sie damit rechnen müssen, dass er sich dann in einer Weise verhalten wird, die ihnen nicht gefällt.
  5. Sodass mein Gott mich nochmals demütigt bei euch, wenn ich komme: Wenn die Christen in Korinth weiterhin in ihrem weltlichen Denken verharrten, würde dies für Paulus eine Demütigung sein. Er hätte Grund zu der Annahme: „Ich kann kein wirklich guter Apostel oder Leiter sein, denn diese Christen in Korinth reagieren einfach nicht auf das, was ich ihnen sage“. Das wäre zwar nicht die ganze Wahrheit, aber es würde Paulus trotzdem demütig[en].
    1. Und ich trauern muss über viele: Sollten die Christen in Korinth immer noch in ihrer weltlichen Einstellung verhaftet sein, wenn Paulus zum dritten Mal kommt, wäre er mit allem Nachdruck sehr zornig darüber. Keine Frage! Aber im gleichen Maße wäre er auch gedemütigt, und er würde auch trauern. So wie über viele andere Dinge auch, war Paulus über die Weltlichkeit der Christen in Korinth sehr betrübt, was ihn über viele [trauern] ließ.
    2. „Paulus offenbart uns den Geist eines wahren und aufrichtigen Pastors, wenn er sagt, dass er die Sünden anderer mit Trauer betrachtet.“ (Calvin)
  6. Die zuvor schon gesündigt und nicht Buße getan haben wegen der Unreinheit und Unzucht und Ausschweifung, die sie begangen haben: Der Zorn und die Trauer von Paulus richtete sich nicht an jene, die ganz allgemein gesündigt haben. Vielmehr hatte er ganz speziell jene Menschen im Auge, die zuvor schon gesündigt und nicht Buße getan haben. Paulus hat keine Vollkommenheit von ihnen verlangt, sondern ausschließlich um Buße gebeten.

© 2022 The Enduring Word Bible Commentary by David Guzik.

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