Apostelgeschichte 22 – Paulus‘ Predigt in Jerusalem

A. Die Predigt an die Menschenmenge in Jerusalem

1. Paulus beginnt seine Botschaft an die Menschenmenge

Apostelgeschichte 22, 1-2

Apostelgeschichte 22, 1-2
Ihr Männer, Brüder und Väter, hört jetzt meine Verteidigung vor euch an! Als sie aber hörten, dass er in hebräischer Sprache zu ihnen redete, wurden sie noch ruhiger; und er sprach:

  1. Ihr Männer, Brüder und Väter, hört: Paulus begann seine große Verteidigungsrede vor den Juden auf die gleiche Weise wie Stephanus es tat: Ihr Männer, Brüder und Väter, hört. (Apostelgeschichte 7, 2)
    1. „Paulus lieferte eine großartige Verteidigung. Er benutzte tatsächlich das Wort ‚Verteidigung‘ (Apostelgeschichte 22, 1). Im Griechischen handelt es sich um das Wort apologia, aus dem das englische Wort ‚apology (Entschuldigung)‘ abgeleitet wird. Es bezieht sich auf eine formelle Verteidigung des eigenen früheren Lebens oder Handelns.“ (Boice)
  2. Wurden sie noch ruhiger: Als die wilde Menge hörte, wie Paulus sie auf Hebräisch (Aramäisch) ansprach, wurden sie still und bereit zuzuhören.
    1. Am Ende des vorigen Kapitels hatten die Zuhörer dieser Predigt versucht, Paulus zu töten, weil sie der Meinung waren, er habe den Tempel entweiht, indem er einen Heiden hineinführte.

2. Paulus erzählt von seiner jüdischen Erziehung und Herkunft

Apostelgeschichte 22, 3

Apostelgeschichte 22, 3
Ich bin ein jüdischer Mann, geboren in Tarsus in Cilicien, aber erzogen in dieser Stadt, zu den Füßen Gamaliels, unterwiesen in der gewissenhaften Einhaltung des Gesetzes der Väter, und ich war ein Eiferer für Gott, wie ihr alle es heute seid.

  1. Ich bin ein jüdischer Mann: Paulus sprach als Jude zu den Juden. Er achtete darauf, eine gemeinsame Basis zwischen ihnen zu schaffen. So begann Paulus, die Geschichte seines Lebens zu erzählen, bevor er zu Jesus Christus kam und dann beschrieb er seine Bekehrung.
    1. Lukas erzählt die Geschichte von Paulus‘ Bekehrung in Apostelgeschichte 9. Danach erzählte Paulus seine Geschichte in abgewandelter Form mindestens vier weitere Male im Neuen Testament, jedes Mal mit einer anderen Intention.
      1. Apostelgeschichte 22: Er erzählt die Geschichte, um die Juden zu überzeugen.
      2. Apostelgeschichte 26: Er erzählt die Geschichte, um die Heiden zu überzeugen.
      3. Philipper 3: Er erzählt die Geschichte zum theologischen Verständnis.
      4. 1. Timotheus 1: Er erzählt die Geschichte, um zu ermutigen.
  2. Geboren in Tarsus in Cilicien, aber erzogen in dieser Stadt, zu den Füßen Gamaliels: Paulus merkte an, dass er, obwohl er außerhalb des Gelobten Landes geboren wurde, in Jerusalem zu den Füßen Gamaliels, einem der angesehensten Rabbiner der Zeit, aufgewachsen ist (Apostelgeschichte 5, 34).
  3. Unterwiesen in der gewissenhaften Einhaltung des Gesetzes der Väter, und ich war ein Eiferer für Gott: Wie Paulus an anderer Stelle erklärte, war er ein Hebräer von Hebräern, im Hinblick auf das Gesetz ein Pharisäer (Philipper 3, 5). Bis ins kleinste Detail hielt Paulus das Gesetz so ein, wie es von der geistlichen Elite seiner Zeit verstanden wurde.
  4. Ich war ein Eiferer für Gott, wie ihr alle es heute seid: Paulus versucht nach schönen Worten für die Menschenmenge zu suchen, die soeben versucht hat Ihn zu ermorden. „Nun, ich kann sagen, dass ihr Eiferer für Gott seid.“

3. Paulus erzählt, wie er die Christen verfolgte

Apostelgeschichte 22, 4-5

Apostelgeschichte 22, 4-5
Ich verfolgte diesen Weg bis auf den Tod, indem ich Männer und Frauen band und ins Gefängnis überlieferte, wie mir auch der Hohepriester und die ganze Ältestenschaft Zeugnis gibt. Von ihnen empfing ich sogar Briefe an die Brüder und zog nach Damaskus, um auch die, welche dort waren, gebunden nach Jerusalem zu führen, damit sie bestraft würden.

  1. Ich verfolgte diesen Weg bis auf den Tod: Dies war ein Beweis für den zuvor erwähnten Eifer. Paulus war als Verfolger so entschlossen, dass er in einigen Fällen für den Tod von einigen Nachfolgern Jesu verantwortlich war. Paulus teilte der Menge mit: „Ihr habt versucht, mich zu töten, aber es ist mir gelungen, viele zu töten“. Das musste für viele in der Menge eine überraschende Nachricht gewesen sein.
  2. Indem ich Männer und Frauen band und ins Gefängnis überlieferte: Paulus tötete nicht jeden Christen, dem er begegnete; einige wurden einfach gefangen genommen und eingesperrt. Aber er war erbarmungslos und verfolgte sowohl Frauen als auch Männer.
  3. Wie mir auch der Hohepriester und die ganze Ältestenschaft Zeugnis gibt. Von ihnen empfing ich sogar Briefe: Paulus verfolgte die Christen mit der offiziellen Zustimmung der religiösen Führer.
  4. Zog nach Damaskus, um auch die, welche dort waren, gebunden nach Jerusalem zu führen: Paulus war energisch genug, seinen Verfolgungsfeldzug über Judäa hinaus bis nach Syrien und in die Stadt Damaskus fortzusetzen.
    1. Die Botschaft ist klar: „Ich verstehe, warum ihr mich angegriffen habt. Ich war auch einmal jemand, der andere angegriffen hat. Ich verstehe, woher ihr kommt.“ Paulus war seit mehr als zwanzig Jahren Christ, konnte aber immer noch eine Beziehung zu denen aufbauen, die keine Christen waren.

4. Paulus beschreibt seine übernatürliche Erfahrung auf dem Weg nach Damaskus

Apostelgeschichte 22, 6-11

Apostelgeschichte 22, 6-11
Es geschah mir aber, als ich auf meiner Reise in die Nähe von Damaskus kam, dass mich am Mittag plötzlich vom Himmel her ein helles Licht umstrahlte. Und ich fiel zu Boden und hörte eine Stimme, die zu mir sprach: Saul! Saul! Warum verfolgst du mich? Ich aber antwortete: Wer bist du, Herr? Und er sprach zu mir: Ich bin Jesus, der Nazarener, den du verfolgst! Meine Begleiter aber sahen zwar das Licht und wurden voll Furcht, aber die Stimme dessen, der mit mir redete, hörten sie nicht. Und ich sprach: Was soll ich tun, Herr? Der Herr sprach zu mir: Steh auf und geh nach Damaskus! Dort wird man dir alles sagen, was dir zu tun bestimmt ist. Da ich aber wegen des Glanzes jenes Lichtes nicht sehen konnte, wurde ich von meinen Begleitern an der Hand geführt und kam nach Damaskus.

  1. Dass mich am Mittag plötzlich vom Himmel her ein helles Licht umstrahlte: Paulus war ein entschlossener Verfolger der Christen und von Jesus, bis dieses himmlische Licht auf ihn schien. Es ist, als ob Paulus sagte: „Ich war genauso wie ihr alle, bis ich eine Begegnung mit Jesus hatte. Jesus begegnete mir, und mein Leben wurde grundlegend verändert.“
  2. Ich bin Jesus, der Nazarener, den du verfolgst: Paulus kam auch zu der Erkenntnis, dass er Jesus selbst, den strahlenden Herrn der Herrlichkeit, der heller als die Mittagssonne ist verfolgte. Bis hierher wusste er eigentlich gar nicht, wen er verfolgte.
  3. Da ich aber wegen des Glanzes jenes Lichtes nicht sehen konnte: Die Helligkeit dieses Lichtes machte Paulus blind. Als er Jesus verfolgte, war er geistlich blind, und dann war er auch noch körperlich blind – und musste demütig an der Hand in die Stadt Damaskus geführt werden.

5. Paulus beschreibt seine Reaktion auf die übernatürliche Erfahrung in Damaskus

Apostelgeschichte 22, 12-16

Apostelgeschichte 22, 12-16
Aber ein gewisser Ananias, ein gottesfürchtiger Mann nach dem Gesetz, der von allen Juden, die dort wohnen, ein gutes Zeugnis hat, der kam zu mir, trat herzu und sprach zu mir: Bruder Saul, werde wieder sehend! Und zur selben Stunde konnte ich ihn sehen. Er aber sprach: Der Gott unserer Väter hat dich vorherbestimmt, seinen Willen zu erkennen und den Gerechten zu sehen und die Stimme aus seinem Mund zu hören; denn du sollst bei allen Menschen ein Zeuge für ihn sein von dem, was du gesehen und gehört hast. Und nun, was zögerst du? Steh auf und lass dich taufen, und lass deine Sünden abwaschen, indem du den Namen des Herrn anrufst!

  1. Ananias, ein gottesfürchtiger Mann nach dem Gesetz, der von allen Juden, die dort wohnen, ein gutes Zeugnis hat: Paulus stellte fest, dass es Ananias war, ein Mann, der sich als guter Jude auszeichnete, und der ihn in die christliche Familie aufnahm.
  2. Der Gott unserer Väter hat dich vorherbestimmt, seinen Willen zu erkennen: In Paulus‘ Rede sehen wir, dass sowohl er als auch Ananias sich schlichtweg wie gute Juden verhielten. Sie widersetzten sich weder Gott noch verleugneten sie ihr Erbe.
    1. Paulus wollte sie wissen lassen, dass er immer noch dem Gott seiner Väter diente. Er hatte das Judentum nicht abgelehnt. Stattdessen hatten viele im Judentum Gott abgelehnt, als er sich in Jesus Christus offenbart hatte.
  3. Der Gott unserer Väter hat dich vorherbestimmt, seinen Willen zu erkennen und den Gerechten zu sehen und die Stimme aus seinem Mund zu hören: Apostelgeschichte 22, 14 ist eine wunderbare Umschreibung der Pflicht eines jeden vor Gott: Seinen Willen zu erkennen, den Gerechten (Jesus) zu sehen und die Stimme aus seinem Mund (sein Wort) zu hören.

6. Jesus spricht im Tempel in Jerusalem in einer Vision zu Paulus

Apostelgeschichte 22, 17-18

Apostelgeschichte 22, 17-18
Es geschah mir aber, als ich nach Jerusalem zurückgekehrt war und im Tempel betete, dass ich in eine Verzückung geriet und Ihn sah, der zu mir sprach: Eile und geh schnell aus Jerusalem fort, denn sie werden dein Zeugnis über mich nicht annehmen!

  1. Es geschah mir aber, als ich nach Jerusalem zurückgekehrt war und im Tempel betete: Paulus erzählte ihnen von etwas, das etwa 20 Jahre zuvor passierte, als er seit 2-3 Jahren ein Nachfolger Jesu war. Obwohl er schon seit ein paar Jahren Christ war, kam er trotzdem nach Jerusalem, um im Tempel zu beten. Er wollte die Menge wissen lassen, dass er, obwohl er auf Jesus vertraute, nicht gegen alle jüdischen Zeremonien und Rituale war.
  2. Dass ich in eine Verzückung geriet und Ihn sah, der zu mir sprach: Paulus hatte eine eindrucksvolle Vision von Jesus, als er im Tempel war; dennoch hat er in seinen Briefen nie auf diese Vision Bezug genommen und scheint sie jetzt nur aus der Not heraus zu erwähnen. Paulus‘ christliches Leben basierte auf Gottes Wahrheit, und nicht auf geistlichen Erfahrungen, und er redete auch nicht viel über seine Glaubenserfahrungen.
  3. Eile und geh schnell aus Jerusalem fort, denn sie werden dein Zeugnis über mich nicht annehmen: Dieses Wort von Jesus überraschte Paulus wahrscheinlich. Mit gutem Grund hielt er sich selbst vermutlich für den perfekten Mann, um das Evangelium zu seinen jüdischen Mitbürgern zu bringen. Trotzdem gab Jesus ihm diese Warnung und sagte ihm sogar, er solle eilen.

7. Paulus antwortet Jesus

Apostelgeschichte 22, 19-20

Apostelgeschichte 22, 19-20
Und ich sprach: Herr, sie wissen selbst, dass ich die, welche an dich glaubten, ins Gefängnis werfen und in den Synagogen schlagen ließ, und dass auch ich dabeistand, als das Blut deines Zeugen Stephanus vergossen wurde, und seiner Hinrichtung zustimmte und die Kleider derer verwahrte, die ihn töteten.

  1. Herr, sie wissen selbst, dass ich die, welche an dich glaubten, ins Gefängnis werfen und in den Synagogen schlagen ließ: Das war Paulus‘ leichter Einwand gegen die Warnung, die Jesus ihm gerade in seiner Vision gab. Paulus‘ Überlegung ist: „Herr, sie werden auf mich hören. Sie wissen, dass ich früher Christen verfolgte, meine Geschichte wird stark und überzeugend für sie sein.“
  2. Und dass auch ich dabeistand, als das Blut deines Zeugen Stephanus vergossen wurde, und seiner Hinrichtung zustimmte: Paulus glaubte, dass seine frühere, entschlossene Verfolgung der Gemeinde ihm mehr Glaubwürdigkeit bei den jüdischen Menschen schenkte, die gegen das Christentum waren. Er versuchte, Jesus zu erklären, warum er wirklich in Jerusalem bleiben und daran arbeiten sollte, dem jüdischen Volk von Jesus zu erzählen.

8. Jesus reagiert auf die Antwort des Paulus

Apostelgeschichte 22, 21

Apostelgeschichte 22, 21
Und er sprach zu mir: Geh hin, denn ich will dich in die Ferne zu den Heiden senden!

  1. Und er sprach zu mir: Geh hin: Jesus war mit Paulus‘ Antwort nicht einverstanden. Jesus wusste, dass es nicht Paulus‘ Zeit und Ort war, dem jüdischen Volk zu predigen, wie Paulus es wollte. Stattdessen sagte Jesus 20 Jahre zuvor zu Paulus, er solle zu seiner eigenen Sicherheit, einfach aus Jerusalem weggehen.
  2. Denn ich will dich in die Ferne zu den Heiden senden: Als Paulus in Damaskus von Gott berührt wurde, erfuhr er von seiner Berufung, den Heiden zu predigen (Apostelgeschichte 9, 15). Die Worte, die Jesus im Tempel in Jerusalem an ihn richtete, waren also nicht neu. Wir können jedoch sehen, dass es für Paulus bei seinem ersten Besuch in Jerusalem nach seiner Bekehrung, einfach gewesen wäre, sich auf die Bekehrung Israels zu konzentrieren – deshalb gab Jesus ihm im Tempel diese Anweisung.
    1. Paulus machte deutlich, dass es nicht seine Idee war, den Heiden zu predigen; dies war Gottes Plan, nicht seiner. Er hoffte, dass dies auch der Menge erklärte, warum er den Heiden gegenüber so freundlich erscheint: Paulus gehorchte einfach Jesus und seiner Anweisung.

9. Die Menge tobt als Reaktion auf Paulus Botschaft

Apostelgeschichte 22, 22-23

Apostelgeschichte 22, 22-23
Sie hörten ihm aber zu bis zu diesem Wort; und dann erhoben sie ihre Stimme und sprachen: Hinweg mit einem solchen von der Erde! Denn es darf nicht sein, dass er am Leben bleibt! Als sie aber schrien und die Kleider von sich warfen und Staub in die Luft schleuderten,

  1. Sie hörten ihm aber zu bis zu diesem Wort: Die Menge, die versucht hatte, Paulus zu töten, und dann aufmerksam seiner ganzen Predigt zuhörte, brach in Wut aus, als er ein Wort sagte. Dieses eine Wort war ‚Heiden‘. (Apostelgeschichte 22, 21) Dieser jüdische Mob war über den Gedanken, dass Gottes Erlösung auch gläubigen Heiden geschenkt werden könnte, empört.
    1. Der Mob hörte bis zu diesem Punkt aufmerksam zu. Rein intellektuell hatten sie nichts gegen das was er über Jesus gesagt hatte, aber sie konnten die Vorstellung nicht ertragen, dass Gott Juden und Heiden gleichermaßen und auf dieselbe Weise retten würde.
    2. Die Botschaft Jesu – die sowohl Paulus als auch das Neue Testament verkündeten – ist Folgende: Du kannst zu Gott kommen, so wie du bist – Jude, Heide, Ausländer, groß, klein, reich oder arm – aber du musst durch Jesus Christus zu ihm kommen.
    3. Die Juden dieser Zeit hatten kein Problem damit, dass Heiden Juden wurden. Aber sie waren unglaublich empört über den Gedanken, dass Heiden Christen werden konnten, genauso wie Juden Christen wurden. Denn das bedeutete, dass Juden und Heiden gleichgestellt waren und unter den gleichen Bedingungen zu Gott kommen konnten.
  2. Hinweg mit einem solchen von der Erde! Denn es darf nicht sein, dass er am Leben bleibt! Diese wütende, gewalttätige Reaktion wurde durch ein Wort ausgelöst: Heiden.
    1. In Apostelgeschichte 22 drückte der jüdische Mob seinen Hass auf andere durch gewalttätige Wut aus. Andere drücken ihren Hass auf die Verlorenen durch Gleichgültigkeit aus. Wir mögen nicht so randalieren, wie es der Mob in diesem Kapitel tat, aber durch unsere Untätigkeit sagen wir nahezu das Gleiche.

B. Paulus in römischer Gefangenschaft

1. Der Kommandant verlangt eine Erklärung des Aufruhrs

Apostelgeschichte 22, 24

Apostelgeschichte 22, 24
ließ der Befehlshaber ihn in die Kaserne führen und befahl, ihn unter Geißelhieben zu verhören, um zu erfahren, aus welchem Grund sie derart über ihn schrien.

  1. Ließ der Befehlshaber ihn in die Kaserne führen: Es muss für den römischen Befehlshaber ein seltsamer Anblick gewesen sein. Er sah, wie Paulus sich leidenschaftlich in einer ihm unbekannten Sprache an diese riesige Menschenmenge wandte. Er beobachtete die Menge aufmerksam, bis sie plötzlich einen Tumult anzettelten.
    1. Aber als es ihm erklärt wurde, muss er es als absurd und beleidigend empfunden haben: All diese Unruhen entsprangen dem Hass auf die Heiden, auf Menschen, wie den Befehlshaber selbst.
    2. Ab hier befindet Paulus sich bis zum Ende der Apostelgeschichte in römischem Gewahrsam. Soweit es dieses Buch betrifft, war dies das Ende seiner Zeit als freier Mann, jedoch nicht das Ende der Zeit, in der er Gottes Gnade und Güte bezeugt hat und ein Diener von Gott und für Gottes Volk war.
  2. Unter Geißelhieben zu verhören: Es wird vorgeschlagen, dass Paulus mit einer Geißel ausgepeitscht wird. Das war etwas ganz anderes als mit einer Rute oder einer normalen Peitsche geschlagen zu werden (was Paulus erlebt hatte, 2. Korinther 11, 24-25). Oft starben Männer nach Geißelhieben oder waren für den Rest des Lebens gelähmt.
    1. „Das war nicht die normale jüdische Art der Auspeitschung, die schon schlimm genug war, sondern die gefürchtete römische Geißelung. Es war eine Prügelstrafe, die so schwerwiegend war, dass sie in einigen Fällen zum Tod des Opfers führte.“ (Boice)
  3. Ihn unter Geißelhieben zu verhören: Das war brutal, aber in jener Zeit üblich – doch nur bei Menschen, die keine römischen Staatsbürger waren.

2. Paulus offenbart seine römische Herkunft

Apostelgeschichte 22, 25-26

Apostelgeschichte 22, 25-26
Als man ihn aber mit den Riemen festband, sprach Paulus zu dem Hauptmann, der dabeistand: Ist es euch erlaubt, einen Römer zu geißeln, und dazu noch ohne Urteil? Als der Hauptmann das hörte, ging er hin und meldete es dem Befehlshaber und sprach: Hab acht, was du tun willst, denn dieser Mensch ist ein Römer!

  1. Als man ihn aber mit den Riemen festband: Paulus wurden die Hände mit Lederriemen gefesselt, so dass sich seine Hände um einen Holzpflock legten und sein Rücken völlig entblößt war. Er war bereit für eine brutale Prügelstrafe, die nicht aufhören würde, bis er die Verbrechen gestand, derer er verdächtigt wurde.
  2. Ist es euch erlaubt, einen Römer zu geißeln, und dazu noch ohne Urteil? In diesem Moment verkündete Paulus seine römische Herkunft.
  3. Hab acht, was du tun willst, denn dieser Mensch ist ein Römer! Als dies bekannt wurde, führte das umgehend zu einer Reaktion. Es war eine schwerwiegende Verletzung der römischen Rechte, einen römischen Bürger, ohne ein ordentliches Verfahren auch nur zu fesseln, und sie hatten bereits Paulus‘ Rechte verletzt, indem sie ihn in Apostelgeschichte 21, 33 fesselten.

3. Der Befehlshaber befragt Paulus über seine Staatsbürgerschaft

Apostelgeschichte 22, 27-29

Apostelgeschichte 22, 27-29
Da kam der Befehlshaber herzu und sprach zu ihm: Sage mir, bist du ein Römer? Er antwortete: Ja! Und der Befehlshaber erwiderte: Ich habe dieses Bürgerrecht für eine große Summe erworben. Paulus aber sprach: Ich dagegen bin sogar darin geboren! Sogleich ließen die, welche ihn gewaltsam verhören wollten, von ihm ab, und auch der Befehlshaber fürchtete sich, nachdem er erfahren hatte, dass er ein Römer war, und weil er ihn hatte fesseln lassen.

  1. Sage mir, bist du ein Römer? Die Strafe dafür, zu Unrecht zu behaupten man besäße die römische Staatsbürgerschaft war gravierend. Es war daher nicht etwas weswegen die Menschen einfach lügen würden. So konnte der Befehlshaber Paulus direkt fragen.
    1. „Einfach zu sagen, dass man ein Bürger Roms sei, reichte aus; die Strafen für das Fälschen von Dokumenten und die zu Unrecht aufgestellte Behauptung der Staatsbürgerschaft waren äußerst hart – Epiktet spricht vom Tod für solche Taten.“ (Longenecker)
  2. Ich habe dieses Bürgerrecht für eine große Summe erworben: Wegen der ganzen Aufregung und der Prügel, die Paulus erhalten hatte, sah er wahrscheinlich schrecklich aus. Der Befehlshaber fragte sich, wie jemand, der so aussah, die Staatsbürgerschaft erwerben konnte.
    1. „Etwas in dieser Art mag der Tribun (höherer Offizier der römischen Armee) im Sinn gehabt haben, als er sagte: Es hat mich eine sehr große Summe Geld gekostet, die römische Staatsbürgerschaft zu erwerben – was impliziert, dass das Privileg in letzter Zeit billig geworden sein muss, wenn eine so bedauerlich aussehende Gestalt wie Paulus es beanspruchen konnte.“ (Bruce)
    2. Laut Stott konnte die römische Staatsbürgerschaft nicht gegen eine Gebühr, sondern nur durch eine Bestechung erworben werden. Normalerweise wurde sie nur durch ein Recht oder eine Belohnung gewährt. „Es ging nicht darum, dass der Tribun an der Behauptung von Paulus zweifelte, sondern er unterstellte vielmehr, dass heutzutage jeder ein Staatsbürger werden könne!“ (Marshall)
  3. Ich dagegen bin sogar darin geboren! Paulus‘ Eltern (oder Großeltern) müssen die Bürgerrechte für irgendeine gute Tat im Namen Roms erhalten haben.
    1. „Wie die Staatsbürgerschaft von Paulus Vater oder Großvater erworben wurde, wissen wir nicht, aber die Analogie legt nahe, dass es für wertvolle Dienste war, die er einem römischen General oder Verwalter im südöstlichen Gebiet Kleinasiens geleistet hat.“ (Bruce)
    2. Paulus war ein äußerst seltenes Individuum. Es war ungewöhnlich, einen so gebildeten, intelligenten, frommen Juden zu finden, der gleichzeitig römischer Staatsbürger war. Gott würde diesen einzigartigen Hintergrund nutzen, um Paulus auf besondere Weise zu gebrauchen, so wie er auch deinen einzigartigen Hintergrund nutzen möchte, um dich auf besondere Weise zu gebrauchen.
  4. Der Befehlshaber fürchtete sich, nachdem er erfahren hatte, dass er ein Römer war, und weil er ihn hatte fesseln lassen: Mit dem, was er jetzt über Paulus wusste, war der Befehlshaber sehr um sein eigenes Wohl besorgt.

4. Der römische Befehlshaber arrangiert eine Anhörung der Anklagen gegen Paulus vor dem jüdischen Rat (dem Sanhedrin)

Apostelgeschichte 22, 30

Apostelgeschichte 22, 30
Da er aber mit Gewissheit erfahren wollte, weshalb er von den Juden angeklagt wurde, ließ er ihm am folgenden Tag die Fesseln abnehmen und befahl den obersten Priestern samt ihrem ganzen Hohen Rat, zu kommen; und er führte Paulus hinab und stellte ihn vor sie.

  1. Da er aber mit Gewissheit erfahren wollte, weshalb er von den Juden angeklagt wurde: Lukas stellt den römischen Befehlshaber als einen gerechten und aufrechten Mann dar. Obwohl er die Einzelheiten des Streits zwischen Paulus und den religiösen Führern nicht kannte, schien er sich stark für eine faire Lösung einzusetzen.
    1. Der römische Befehlshaber „muss gedacht haben, dass er, entscheiden kann, was zu tun ist sobald er eine konkrete Anklage hat.“ (Boice)
  2. Und befahl den obersten Priestern samt ihrem ganzen Hohen Rat, zu kommen; und er führte Paulus hinab und stellte ihn vor sie: Paulus erhielt das, was er wahrscheinlich als eine riesige zweite Chance ansah. Die Gelegenheit, vor dem Mob auf dem Tempelberg zu predigen, endete in einem weiteren Aufruhr, aber er würde am nächsten Tag vor dem Sanhedrin (ihrem ganzen Hohen Rat) sprechen.
    1. Der Sanhedrin war der jüdische Kongress oder das jüdische Parlament. Paulus erhielt die Gelegenheit, vor der Gruppe zu sprechen, der er einst angehörte. In Apostelgeschichte 26, 10 steht klar, dass Paulus eine Stimme hatte – die normalerweise einem Mitglied des Sanhedrins gehörte.
    2. Paulus würde logischerweise denken, dass dies die Gelegenheit seines Lebens war, denen zu predigen, die er so sehr liebte und so gut kannte.
    3. Gott hatte Paulus gleich bei seiner Bekehrung einen Plan offenbart. Paulus war ein auserwähltes Werkzeug, um meinen Namen vor Heiden und Könige und vor die Kinder Israels zu tragen! Denn ich werde ihm zeigen, wie viel er leiden muss um meines Namens willen (Apostelgeschichte 9, 15-16). Paulus kannte den allgemeinen Plan; aber genau wie wir wusste er nicht, wie alles letztendlich genau ablaufen würde. Er musste Gott vertrauen, genau wie jeder andere Gläubige auch.

© 2022 The Enduring Word Bible Commentary by David Guzik.

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