Hebräer 5 – Jesus, ein Priester für immer

A. Unser mitfühlender Hohepriester

1. Prinzipien des Priesterdienstes unter dem Gesetz Moses

Hebräer 5, 1-4

Hebräer 5, 1-4
Denn jeder aus Menschen genommene Hohepriester wird für Menschen eingesetzt in dem, was Gott betrifft, um sowohl Gaben darzubringen als auch Opfer für die Sünden. Ein solcher kann Nachsicht üben mit den Unwissenden und Irrenden, da er auch selbst mit Schwachheit behaftet ist; und um dieser willen muss er, wie für das Volk, so auch für sich selbst Opfer für die Sünden darbringen. Und keiner nimmt selbst diese Ehre, sondern der [empfängt sie], welcher von Gott berufen wird, gleichwie Aaron.

  1. Denn jeder aus Menschen genommene Hohepriester: Gott setzte das Priestertum und das Amt des Hohepriesters zu Mose Lebzeiten ein. Dies wird in 2. Mose 28 und den folgenden Kapiteln beschrieben. Der Verfasser des Hebräerbriefes fasst die Aufgaben des Hohepriesters treffend zusammen, indem er sagt: „um sowohl Gaben darzubringen als auch Opfer für die Sünden“. Die Hauptaufgabe des Hohepriesters war es, entweder direkt dem Herrn zu opfern oder indirekt durch die ihm unterstellten Priester.
    1. Die Formulierung „Gaben darzubringen als auch Opfer für die Sünden“ erinnert uns daran, dass nicht jedes Opfer ein Sündopfer war, um Versöhnung durch Blut zu erwirken. Zahlreiche Opfer waren als einfache Gaben an Gott gedacht, die den Dank und den Wunsch nach Gemeinschaft ausdrücken sollten.
  2. Ein solcher kann Nachsicht üben: Idealerweise war der Hohepriester mehr als ein ‚Metzger‘, der Tiere als Opfergaben schlachtete. Er sollte gleichzeitig auch Nachsicht üben mit den Unwissenden und Irrenden. In einigen Bibelübersetzungen wird ein solcher kann Nachsicht üben mit er kann mitfühlen (Luther 2017) übersetzt. Der Hohepriester brachte die Sühneopfer mit einem liebenden Herzen für das Volk dar. Der Idealvorstellung zufolge übte der Hohepriester Nachsicht bzw. empfand Mitgefühl, weil er verstand, dass er auch selbst mit Schwachheit behaftet war.
    1. Gott gab spezielle Anweisungen, die dem Hohepriester helfen sollten, mit Mitgefühl zu dienen. Das Brustschild des Hohepriesters war mit zwölf Edelsteinen besetzt, auf denen die Namen der Stämme Israels eingraviert waren und auch auf den Schulterstücken waren Edelsteine mit den Namen der Stämme befestigt. Dadurch war das Volk Israel immer am Herzen und auf den Schultern des Hohepriesters (2. Mose 28, 4-30). Dies sollte den Hohepriester daran erinnern, nachsichtig und mitfühlend zu sein.
  3. Um dieser willen muss er, wie für das Volk, so auch für sich selbst Opfer für die Sünden darbringen: Gott gab besondere Anweisungen, die den Hohepriester in seinem Dienst daran erinnern sollten, dass auch er mit Schwachheiten behaftet war. Am Versöhnungstag musste der Hohepriester zuerst für sich selbst Opfer darbringen. Das sollte ihn und das Volk daran erinnern, dass auch er, genauso wie der Rest des Volkes Israel, Sünden begangen hatte, für die Versöhnung nötig war (3. Mose 16, 1-6).
  4. Und keiner nimmt sich selbst diese Ehre, sondern der [empfängt sie], welcher von Gott berufen wird, gleichwie Aaron: Der Hohepriester ist zwar aus der Gemeinschaft des Volkes Gottes hervorgegangen, aber er wurde nicht vom Volk Gottes erwählt. Er wurde von Gott für sein Volk eingesetzt. Das Prinzip ist hier, dass keiner sich selbst diese Ehre nimmt. Das Amt des Hohepriesters war kein Amt, das man anstreben oder für das man sich bewerben musste. Es wurde durch das Geburtsrecht vergeben und daher von Gott bestimmt. Es war eine Ehre, die sich niemand nehmen konnte.
    1. Das wahre Priestertum und der Hohepriester stammten einer bestimmten Abstammungslinie ab. Jeder Priester stammte von Jakob ab, Abrahams Enkel, dessen Name sich zu Israel änderte. Jeder Priester stammte von Levi ab, einem der zwölf Söhne Israels. Gott sonderte den Stamm Levi für sich selbst ab. Dieser Stamm sollte ihm dienen und ihn vor der ganzen Nation Israel vertreten (2. Mose 13, 2 und 4. Mose 3, 40-41). Levi hatte drei Söhne: Gerson, Kahat und Merari. Jede dieser drei Familien und ihre Nachkommen hatten ihre speziellen Pflichten. Die Familie Gersons sorgte für den Vorhang zwischen dem Allerheiligsten und dem Heiligtum, die Seile und die restlichen Vorhänge (4. Mose 3, 25-26). Die Familie Kahats kümmerte sich um das Mobiliar der Stiftshütte, wie z.B. den Leuchter, die Altäre und die Lade (4. Mose 3, 31-32). Die Familie Meraris sorgte für die Bretter und Säulen der Stiftshütte und des Vorhofs (4. Mose 3, 36-37). Diese Familien waren keine eigentlichen Priester, obwohl sie Leviten waren. Das Priestertum selbst wurde durch Aaron, den Bruder Moses aus der Familie Kahat, weitergegeben. Aus der Familie Aarons und ihrer Nachkommenschaft stammten die Priester und der Hohepriester und damit alle, die in der Stiftshütte selbst dienen und Gott Opfer darbringen durften. Der Hohepriester war generell der älteste Sohn Aarons, es sei denn, er hatte sich selbst durch Sünde (wie Nadab und Abihu in 3. Mose 10, 1-3) oder nach den Bestimmungen in 3. Mose 21 disqualifiziert. Die Priester wurden also nicht nach Beliebtheit erwählt, sondern von Gott eingesetzt und auch der Hohepriester konnte nicht durch Menschen eingesetzt werden.
    2. Es gibt erschreckende Fälle, in denen Männer, die nicht Priester waren, sich anmaßten, als Priester zu handeln, z.B.:
      1. Korah, der durch ein Erdbeben, das Gott gesandt hatte, verschluckt wurde (4. Mose 16).
      2. Saul, der von seiner königlichen Stellung verworfen wurde (1. Samuel 13).
      3. Ussija, der im Tempel selbst mit Aussatz geschlagen wurde (2. Chronik 26, 16-20).
    3. Auch heute noch ist es uns verboten unser eigener Priester zu sein. Es ist sehr anmaßend zu glauben, wir könnten eigenständig zu Gott kommen, ohne einen Priester. Aber es ist auch abergläubisch zu denken, wir bräuchten irgendeinen anderen Priester als nur Jesus Christus selbst. Gott schenkt uns Jesus als Mittler und Priester, und wir müssen die Dienste des Priesters in Anspruch nehmen, den Gott uns schenkt.
    4. „Ein Sünder kann sich nicht allein direkt an Gott wenden. Möglich ist dies nur durch einen Mittler, einen Priester, der Gottes Willen kennen und erfüllen muss … Unser Wissen über die Menschheit seit dem Sündenfall beweist es: keine Nation ist ohne Religion, ohne Tempel, ohne Anbetungsstätte oder ohne Priester.“ (Poole)

2. Jesus ist dazu berechtigt unser Hohepriester zu sein

Hebräer 5, 5-6

Hebräer 5, 5-6
So hat auch der Christus sich nicht selbst die Würde beigelegt, ein Hoherpriester zu werden, sondern der, welcher zu ihm sprach:
»Du bist mein Sohn;
heute habe ich dich gezeugt«.
Wie er auch an anderer Stelle spricht:
»Du bist Priester in Ewigkeit
nach der Weise Melchisedeks«.

  1. So hat auch der Christus sich nicht selbst die Würde beigelegt ein Hoherpriester zu werden: Jesus machte sich nicht selbst zum Hohepriester. Genauso, wie über ihn gesagt wurde, dass er der Sohn sei (in Psalm 2, 7), wurde über ihn auch verkündet, dass er Priester in Ewigkeit sei (in Psalm 110, 4).
    1. Man kann leicht nachvollziehen, warum das Priestertum Jesu für die jüdischen Christen damals schwierig zu verstehen war. Jesus stammte nicht vom Geschlecht Aarons ab. Er hatte nie eine besondere Stellung im Tempel für sich beansprucht und eine solche auch nie ausgeübt. Er stellte die religiösen Strukturen in Frage, anstatt sich daran zu beteiligen. Zur Zeit Jesu war das Priestertum eine korrupte Institution. Das Amt des Hohepriesters wurde durch Intrigen und politische Aktivitäten unter korrupten Leitern erlangt.
  2. Heute habe ich dich gezeugt: Dies bezieht sich auf die Auferstehung Jesu von den Toten. In diesem Moment nahm er seine Rolle als unser großer Hohepriester völlig an, nachdem er zur Vollendung gelangt ist (Hebräer 5, 9).
    1. Jesu Auferstehung macht deutlich, dass er nicht ein Priester wie Aaron war, der zuerst Versöhnung für seine eigenen Sünden erlangen musste. Die Auferstehung bestätigt, dass Jesus der Heilige des Vaters ist (Apostelgeschichte 2, 24 und Apostelgeschichte 2, 27), der den Zorn ertrug, den die Sünder verdienten, ohne selbst Sünder zu werden.
  3. Priester in Ewigkeit: Das ist ein wichtiger Gegensatz. Das Priestertum Jesu ist (genauso wie Melchisedeks) unendlich, aber kein Hohepriester, der von Aaron abstammte, hatte jemals ein Priestertum in Ewigkeit ausgeübt.
    1. In Hebräer 7 wird das Thema von Jesus als Hohepriester nach der Weise Melchisedeks ausführlicher behandelt.

3. Das Mitgefühl Jesu, unseres Hohepriesters

Hebräer 5, 7-8

Hebräer 5, 7-8
Dieser hat in den Tagen seines Fleisches sowohl Bitten als auch Flehen mit lautem Rufen und Tränen dem dargebracht, der ihn aus dem Tod erretten konnte, und ist auch erhört worden um seiner Gottesfurcht willen. Und obwohl er Sohn war, hat er doch an dem, was er litt, den Gehorsam gelernt;

  1. Dieser hatsowohl Bitten als auch Flehen mit lautem Rufen und Tränen dem dargebracht: Die Qualen Jesu im Garten Gethsemane (Matthäus 26, 36-39; Lukas 22, 44) beweisen seinen starken inneren Kampf mit dem Gehorsam. Dennoch war er vollkommen gehorsam.
    1. Diese Gebete waren „inbrünstige Bitten, die mit tiefen Seufzern, erhobenen Händen und mehrfachem Stöhnen in äußerst hingebungsvoller Haltung hervorgebracht wurden“. (Trapp)
    2. Das beantwortet auch die Frage: „Wie kann dieser verherrlichte, gekrönte Jesus wissen, was ich hier unten durchmache?“ Er weiß es; es fiel Jesus nicht immer leicht, gehorsam zu sein.
  2. Bitten als auch Flehen: Das altgriechische Wort für Flehen ist hiketeria. Das Wort bedeutet: „ein Olivenzweig, der in Wolle gewickelt ist“ (Clarke). Einen solchen Zweig hielt früher ein griechischer Anbeter in den Händen und schwenkte ihn, um sein verzweifeltes Gebet und sein Verlangen auszudrücken. Interessanterweise geschah das Flehen Jesu in einem Olivengarten – er stellte als Lamm Gottes die ‚Wolle‘ zur Verfügung.
  3. Und ist auch erhört worden um seiner Gottesfurcht willen: Jesus bat darum, dass der Kelch von ihm genommen würde (Lukas 22, 42), doch der Kelch wurde nicht weggenommen. Trotzdem wurde sein Gebet erhört, denn er betete nicht darum, dem Willen seines Vaters zu entfliehen, sondern ihn annehmen zu können – und dieses Gebet wurde definitiv erhört.
  4. Hat er doch an dem, was er litt, den Gehorsam gelernt: Obwohl Jesus Gott war und Gott ist, hat er trotzdem Gehorsam gelernt. Gott, der in der Herrlichkeit des Himmels thront, kann nur dann Gehorsam erfahren, wenn er die Herrlichkeit des Thrones ablegt und sich selbst so erniedrigt, wie Jesus es tat.
    1. Jesus wechselte nicht vom Ungehorsam zum Gehorsam. Er lernte den Gehorsam, indem er tatsächlich gehorchte. Jesus hat nicht gelernt, wie man gehorcht; er hat gelernt, was Gehorsam beinhaltet. Jesus hat gelernt und erfahren, was Gehorsam bedeutet, und Leid zu ertragen war Teil dieser Erfahrung.
    2. Gott, der im Himmel thront, kennt eines nicht: Gehorsam zu leisten. Im Himmel thronend, gehorcht Gott niemandem – alle gehorchen ihm. Die Engel müssen gestaunt haben, als sie sahen, wie Gott der Sohn, der seiner Gottheit das Menschsein hinzugefügt hatte, den Gehorsam praktisch ausübte.
      1. Er gehorchte bei den außergewöhnlichen Herausforderungen.
      2. Er gehorchte im alltäglichen Leben.
      3. Er gehorchte als Kind, als Teenager, als junger Mann.
      4. Er gehorchte im Verborgenen und er gehorchte im Geheimen.
      5. Er gehorchte Gott, seinem Vater, und er gehorchte der rechtmäßigen menschlichen Autorität.
      6. Jesus gehorchte in allen Dingen, sogar bis zum Ende.
    3. „Gehorsam ist ein Handwerk. Man muss so lange in der Lehre bleiben, bis man es vollständig erlernt hat, weil man sich diese Fähigkeit auf keine andere Art und Weise aneignen kann. Selbst unser gelobter Herr hätte den Gehorsam nicht vollständig erlernen können, indem er den Gehorsam anderer Menschen beobachtete. Es gab niemanden, von dem er solch einen Gehorsam hätte lernen können, wie er ihn persönlich leisten musste.“ (Spurgeon)
  5. Hat er doch an dem, was er litt, den Gehorsam gelernt: Leiden diente dazu Jesus zu lehren. Wenn Leiden gut genug war, um den Sohn Gottes zu lehren, dann dürfen wir das Leiden niemals verachten, denn es ist Gottes Werkzeug, das auch uns lehren und Einsicht geben soll.
    1. Manche sagen, dass wir durch Leiden lernen können, aber dass solche Lektionen nur Gottes zweitbestes Mittel sind und dass es seine eigentliche Absicht ist, uns nur durch sein Wort zu lehren. Es sei niemals sein eigentlicher Plan, uns durch Anfechtungen und Leiden zu lehren. Aber der Vater hat niemals nur das Zweitbeste für Jesus gewählt.
    2. Die Bibel lehrt an keiner Stelle, dass starker Glaube einen Christen vor allem Leiden bewahrt. Christen sind dazu bestimmt, Bedrängnis zu erleiden (1. Thessalonicher 3, 3). Durch viele Bedrängnisse gehen wir in das Reich Gottes ein (Apostelgeschichte 14, 22). Unser gegenwärtiges Leiden ist eine Vorbereitung auf die vor uns liegende Verherrlichung (Römer 8, 17).

4. Jesus, unser vollendeter Retter

Hebräer 5, 9-11a

Hebräer 5, 9-11a
Und nachdem er zur Vollendung gelangt ist, ist er allen, die ihm gehorchen, der Urheber ewigen Heils geworden, von Gott genannt: Hoherpriester nach der Weise Melchisedeks. Über ihn haben wir viel zu sagen.

  1. Und nachdem er zur Vollendung gelangt ist, ist er allen, die ihm gehorchen, der Urheber ewigen Heils geworden: Die Leidenserfahrung Jesu – und seine anschließende Auferstehung – machten ihn zum perfekten Urheber (die Quelle, die Ursache) unserer Erlösung.
    1. Wenn ein Mensch stirbt und ein Erbe hinterlässt, kommt es manchmal vor, dass die vorgesehenen Erben das Erbe nie erhalten. Jesus starb, hinterließ ein Erbe und lebt ewig, um sicherzustellen, dass sein Volk dieses Erbe empfängt. „Er starb und gab dadurch das Erbe frei, er ist auferstanden und lebt, damit niemand den Erbteil, den er hinterlassen hat, einem seiner Geliebten rauben kann.“ (Spurgeon)
    2. Manche möchten nicht, dass Jesus der Urheber ihres Heils ist. Sie möchten ihre eigene Errettungsgeschichte schreiben, aber Gott wird sie nicht lesen. Nur Jesus kann der Urheber deines ewigen Heils sein.
  2. Ist er allen, die ihm gehorchen, der Urheber ewigen Heils geworden: Dieses Heil gilt allen, die ihm gehorchen. In diesem Sinne wird „alle, die ihm gehorchen“ gebraucht, um diejenigen zu beschreiben, die an ihn glauben – was lediglich voraussetzt, dass die Gläubigen gehorchen werden.
  3. Von Gott genannt: Hoherpriester nach der Weise Melchisedeks: Die Betonung wird wiederholt. Jesus ist ein Hoherpriester, der von Gott (nicht aufgrund eigener Ambitionen) nach der Weise Melchisedeks genannt ist. In Hebräer 7 wird auf ‚viel zu sagen‘ näher eingegangen.

B. Eine Ermahnung zur Reife

1. Ihre Trägheit im Hören wird aufgedeckt

Hebräer 5, 11b

Hebräer 5, 11b
Und zwar Dinge, die schwer zu erklären sind, weil ihr träge geworden seid im Hören.

  1. Weil ihr träge geworden seid im Hören: Das erklärt, warum der Verfasser sich nicht sofort intensiver mit dem Thema Melchisedek beschäftigt. Er wollte einige entscheidende Grundlagen ansprechen, bevor er sich komplizierteren Themen zuwandte, aber wegen ihres geistlichen Zustands waren solche Dinge schwer zu erklären.
    1. Er befürchtete, dass die Erklärungen über Aaron, Melchisedek und Jesus für seine Leser zu akademisch und theoretisch klingen würden. Zur gleichen Zeit war ihm aber auch bewusst, dass dies mehr über seine trägen Hörer als über die Botschaft aussagte. Es lag nicht daran, dass die Botschaft zu kompliziert war, sondern daran, dass die Zuhörer träge geworden waren im Hören.
    2. Träge im Hören zu sein bedeutet nicht, ein Problem mit den Ohren zu haben, sondern ein Problem mit dem Herzen. Der Zuhörer ist nicht wirklich daran interessiert, was Gott zu sagen hat. Wenn man das Wort Gottes nicht hören will, deutet das auf ein echtes geistliches Problem hin. Es kann sogar ein Grund für unbeantwortete Gebete sein, wie Sprüche 28, 9 zeigt: Wer sein Ohr abwendet vom Hören auf das Gesetz, dessen Gebet sogar ist ein Gräuel.
    3. Diese Christen, die darüber nachdachten, Jesus aufzugeben, waren auch träge geworden im Hören. Die Trägheit kommt meist zuerst, gefolgt von dem Wunsch aufzugeben. Wenn das Wort Gottes beginnt uns zu langweilen, sollten wir dies als ernsthafte Warnung ansehen.
  2. Ihr träge geworden seid im Hören: Das Wort ‚geworden‘ ist wichtig. Es zeigt, dass sie nicht von Beginn an träge im Hören gewesen sind, sondern dass sie so geworden sind. Deshalb warnt der Verfasser des Hebräerbriefs sie erneut.
    1. Der Hebräerbrief ist ein Buch voller Warnungen. Diese entmutigten Christen müssen ermutigt, getröstet und belehrt werden, aber sie müssen auch gewarnt werden. Sie müssen an die Konsequenzen erinnert werden, die entstehen, wenn sie sich von Jesus abwenden.

2. Ihr Mangel an Reife wird aufgedeckt

Hebräer 5, 12a

Hebräer 5, 12a
Denn obgleich ihr der Zeit nach Lehrer sein solltet, habt ihr es wieder nötig, dass man euch lehrt, was die Anfangsgründe der Aussprüche Gottes sind.

  1. Der Zeit nach: Da sie schon einige Zeit Jesus nachgefolgt waren, hätten sie schon viel reifer sein müssen, als sie es tatsächlich waren.
  2. Obgleich ihr der Zeit nach Lehrer sein solltet: Es ging nicht darum, dass es sich um besondere Menschen handelte, die eine besondere Rolle als Lehrer erfüllen sollten. Stattdessen sollten sie Lehrer sein, so wie jeder Christ ein Lehrer sein sollte.
    1. Es gibt einen wichtigen Grund, warum jeder Christ ein Lehrer sein soll, nämlich weil wir alle dabei helfen können, andere zu Jüngern zu machen. Wir beherrschen erst dann etwas wirklich, wenn wir es effektiv an jemand anderen weitergegeben haben. Das Lehren ist der letzte Schritt des Lernens.
  3. Habt ihr es wieder nötig, dass man euch lehrt, was die Anfangsgründe der Aussprüche Gottes sind: Das spricht nicht unbedingt für sie. Es ist nicht unter der Würde eines reifen Christen sich mit den Anfangsgründen, also mit den Grundlagen des Glaubens zu beschäftigen. Es bedeutet vielmehr, dass man in der Lage sein sollte sich selbst immer wieder über die Anfangsgründe der Aussprüche Gottes zu belehren und sich an sie zu erinnern.

3. Ein Kontrast zwischen Milch und fester Speise

Hebräer 5, 12b-14

Hebräer 5, 12b-14
Und ihr seid solche geworden, die Milch nötig haben und nicht feste Speise. Wer nämlich noch Milch genießt, der ist unerfahren im Wort der Gerechtigkeit; denn er ist ein Unmündiger. Die feste Speise aber ist für die Gereiften, deren Sinne durch Übung geschult sind zur Unterscheidung des Guten und des Bösen.

  1. Und ihr seid solche geworden, die Milch nötig haben: Die Milch entspricht den Anfangsgründen aus Hebräer 5, 12. Feste Speise ist das ‚fleischigere‘ Material wie z.B. das Verständnis der Verbindung zwischen Jesus und Melchisedek. Es ist nicht so, dass Milch schlecht ist, aber diese Christen hätten auch feste Speise zu sich nehmen sollen. Petrus erinnert uns daran, „als neugeborene Kindlein begierig nach der unverfälschten Milch des Wortes (zu sein), damit ihr durch sie heranwachst“ (1. Petrus 2, 2).
  2. Denn er ist ein Unmündiger: Im Altgriechischen lautet diese Formulierung denn er ist unmündig. In einigen Bibelübersetzungen wird für Unmündiger kleines oder unmündiges Kind verwendet. Es gibt nichts Erfreulicheres als jemanden, der wie ein kleines Kind neu im Glauben ist. Aber es gibt auch nichts Irritierenderes oder Deprimierenderes als jemanden, der schon erwachsen sein sollte, aber zu einem unmündigen Kind geworden ist.
    1. Bist du ein unmündiges Kind geworden? Vielleicht ist dein Leben als Christ unbeständig. Babys werden von einer Person zur anderen gereicht und geistliche Babys werden „hin- und hergeworfen und umhergetrieben von jedem Wind der Lehre“ (Epheser 4, 14-16).
    2. Bist du ein unmündiges Kind geworden? Vielleicht stiftest du in deinem Leben als Christ Uneinigkeit? Jedes Baby hat sein eigenes Bettchen, an dem es hängt. Geistliche Babys haben ihre bestimmte Gemeindeform, die sie als ‚meine Gemeinde‘ bezeichnen.
    3. Bist du ein unmündiges Kind geworden? Vielleicht bist du fasziniert von christlichen Berühmtheiten der einen oder anderen Art. Babys sind auf eine bestimmte Person (ihre Mutter) konzentriert und geistliche Babys verherrlichen Menschen („Ich gehöre zu Paulus! – Ich aber zu Apollos! – Ich aber zu Kephas!“ 1. Korinther 1, 12).
    4. Bist du ein unmündiges Kind geworden? Vielleicht ist dein geistliches Leben eingeschlafen. Babys brauchen viel Schlaf und auch geistliche Babys verbringen viel Zeit mit schlafen.
    5. Bist du ein unmündiges Kind geworden? Vielleicht bist du anderen gegenüber gereizt und launisch. Babys können launisch sein, und geistliche Babys meckern wegen jeder Kleinigkeit.
  3. Ist unerfahren im Wort der Gerechtigkeit: Diejenigen, die zu Unmündigen geworden sind, erkennt man daran, dass sie im Wort der Gerechtigkeit unerfahren sind. Wir erwarten nicht, dass neugeborene Christen im Wort der Gerechtigkeit erfahren sind, aber diejenigen, die schon eine Zeit lang Christen sind, sollten bereits erfahren sein.
  4. Deren Sinne durch Übung geschult sind zur Unterscheidung des Guten und des Bösen: Unsere Sinne sind geschult (durch Übung und Gewohnheit trainiert) zur Unterscheidung des Guten und des Bösen (hauptsächlich in Bezug auf die Lehre, nicht so sehr in moralischer Hinsicht). Unsere Sinne werden geschult, wenn wir sie nutzen (aufgrund unserer Erfahrung). Wenn wir uns dazu entscheiden, die Fähigkeit zur Unterscheidung einzusetzen, dann werden wir dadurch reifer.
    1. „Wir können unsere Sinne schärfen, indem wir sie nutzen. Als ich im Teehandel tätig war, wurde mein Tast-, Geschmacks- und Geruchssinn so geschärft, dass ich ganz winzige Unterschiede wahrnehmen konnte. Einen ähnlich geübten Scharfsinn brauchen wir für die Unterscheidung von Gut und Böse.“ (Meyer)
    2. Diese Christen zeigten ihre Unreife durch ihren Mangel an Unterscheidungsfähigkeit zwischen Gut und Böse und durch ihre Überlegungen, Jesus aufzugeben. Ein reifer Christ zeichnet sich durch seine Unterscheidungsfähigkeit und seine unerschütterliche Hingabe an Jesus Christus aus.
    3. Vincent über ‚Gut und Böse‘: „Hier ist nicht von Gut und Böse im moralischen Sinne die Rede, sondern davon, die gesunde und die verdorbene Lehre zu unterscheiden. Die logische Schlussfolgerung ist, dass der Leser in einem Zustand ist, der ihn daran hindert, zwischen beiden zu unterscheiden.“
    4. Die Fähigkeit zur Unterscheidung ist ein entscheidender Maßstab für geistliche Reife. Babys nehmen alles in den Mund. Geistliche Babys sind schwach darin, geistliche Dinge voneinander zu unterscheiden und akzeptieren jede Art von geistlicher Nahrung.
  5. Deren Sinne durch Übung geschult sind: Man kann sagen, dass alle fünf menschlichen Sinne ihr geistliches Gegenstück haben.
    1. Wir haben einen geistlichen Geschmackssinn: … wenn ihr wirklich geschmeckt habt, dass der Herr freundlich ist (1. Petrus 2, 3). Schmeckt und seht, wie freundlich der HERR ist (Psalm 34, 9).
    2. Wir haben einen geistlichen Gehörsinn: … hört, so wird eure Seele leben (Jesaja 55, 3). Wer ein Ohr hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt (Offenbarung 2, 7).
    3. Wir haben einen geistlichen Sehsinn: Öffne mir die Augen, damit ich sehe die Wunder in deinem Gesetz (Psalm 119, 18). Erleuchtete Augen eures Verständnisses [Herzens] (Epheser 1, 18).
    4. Wir haben einen geistlichen Geruchssinn: Ich bin völlig versorgt, seitdem ich … eure Gabe empfangen habe, einen lieblichen Wohlgeruch (Philipper 4, 18).
    5. Wir haben einen geistlichen Tastsinn: … weil dein Herz weich geworden ist und du dich vor dem HERRN gedemütigt hast (2. Könige 22, 19). … wegen der Verhärtung ihres Herzens; die, nachdem sie alles Empfinden verloren haben, sich der Zügellosigkeit ergeben haben (Epheser 4, 18-19).

© 2022 The Enduring Word Bible Commentary by David Guzik.

Pin It on Pinterest